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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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»Gib« und »Sei so gut« zu machen. Das sogenannte Gebet …
    »Pardon!« sagte von Riedesel, diesmal mit wirklichem Nachdruck. »Alles was recht ist, aber das ›Helm ab zum Gebet‹ war mir immer …«
    {413} »Das Gebet«, vollendete Dr. Breisacher unerbittlich, »ist die vulgarisierte und rationalistisch verwässerte Spätform von etwas sehr Energischen, Aktiven und Starken: der magischen Beschwörung, des Gotteszwanges.«
    Der Baron tat mir wahrhaftig leid. Seinen Kavalierskonservativismus übertrumpft zu sehen durch das fürchterlich gescheite Ausspielen des Atavistischen, durch einen Radikalismus der Bewahrung, der nichts Kavaliermäßiges mehr, sondern eher etwas Revolutionäres hatte und zersetzender anmutete, als jeder Liberalismus, dabei aber eben doch, wie zum Hohn, einen löblich konservativen Appell besaß, mußte ihn in tiefster Seele verwirren, – ich stellte mir vor, daß es ihm eine schlaflose Nacht bereiten würde, wobei ich in meinem Mitgefühl aber vielleicht zu weit ging. Dabei war in Breisachers Reden durchaus nicht alles in Ordnung; man hätte ihm leicht widersprechen, ihn etwa darauf hinweisen können, daß die spirituelle Geringschätzung des Opfers nicht erst bei den Propheten, sondern im Pentateuch selbst zu finden ist, nämlich bei Moses, der das Opfer unumwunden für nebensächlich erklärt und alles Gewicht auf den Gehorsam gegen Gott, das Halten seiner Gebote, legt. Aber dem zarter empfindenden Menschen widersteht es, zu stören; es widersteht ihm, mit logischen oder historischen Gegenerinnerungen in eine erarbeitete Gedankenordnung einzubrechen, und noch im Anti-Geistigen ehrt und schont er das Geistige. Heute sieht man wohl, daß es der Fehler unserer Zivilisation war, diese Schonung und diesen Respekt allzu hochherzig geübt zu haben, – wo sie es doch auf der Gegenseite mit barer Frechheit und der entschlossensten Intoleranz zu tun hatte.
    An alle diese Dinge dachte ich schon, als ich gleich am Beginn dieser Aufzeichnungen das Bekenntnis meiner Judenfreundlichkeit durch die Bemerkung einschränkte, daß mir auch recht ärgerliche Beispiele dieses Geblüts über den Weg gelaufen sei {414} en, und der Name des Privatgelehrten Breisacher mir verfrüht aus der Feder schlüpfte. Kann man es übrigens dem jüdischen Geist verargen, wenn seine hellhörige Empfänglichkeit für das Kommende, Neue sich auch in vertrackten Situationen bewährt, wo das Avantgardistische mit dem Reaktionären zusammenfällt? Jedenfalls habe ich die neue Welt der Anti-Humanität, von der meine Gutmütigkeit gar nichts wußte, damals bei Schlaginhaufens durch eben diesen Breisacher zuerst zu spüren bekommen.

XXIX
    Der Münchener Fasching von 1914, diese lockeren und verbrüdernden Wochen der festheißen Backen zwischen Epiphanias und Aschermittwoch, mit ihren mancherlei öffentlichen und privaten Veranstaltungen, an denen ich, der noch jugendliche Gymnasialprofessor von Freising, auf eigene Hand oder auch in Gesellschaft Adrians teilnahm, ist mir in lebhafter, ich sage besser: verhängnisschwerer Erinnerung geblieben. War es ja der letzte vor Eintritt des vierjährigen Krieges, der sich jetzt für unseren geschichtlichen Blick mit den Schrecken unserer Tage zu
einer
Epoche zusammenschließt: des sogenannten ersten Weltkrieges, der der ästhetischen Lebensunschuld der Isarstadt, ihrer dionysischen Behaglichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, für immer ein Ende machte. War es ja doch auch die Zeit, in der gewisse individuelle Schicksalsentwicklungen in unserem Bekanntenkreis unter meinen Augen sich anspannen, die, von der weiteren Welt natürlich fast unbeachtet, zu Katastrophen führen sollten, von denen in diesen Blättern die Rede sein muß, weil sie sich zum Teil mit dem Leben und Schicksal meines Helden, Adrian Leverkühns, nahe berührten, ja weil er in eine davon nach meinem tiefsten Wissen auf eine geheimnisvoll-tödliche Weise handelnd verwickelt war.
    Damit ist nicht das Los Clarissa Roddes gemeint, dieser stol {415} zen und spöttischen, mit dem Makabren spielenden Hochblondine, die damals noch unter uns weilte, noch bei ihrer Mutter lebte und an den Karnevalsbelustigungen teilnahm, aber sich schon darauf vorbereitete, die Stadt zu verlassen, um ein Engagement als jugendliche Liebhaberin an einer Provinzbühne anzutreten, welches ihr Lehrer, der Hoftheater-Heldenvater, ihr verschafft hatte. Das sollte sich als ein Unglück erweisen, und ihr theatralischer Mentor, Seiler mit Namen, ein

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