Doktor Faustus
ja beständig in der naivsten und zutraulich-unabschreckbarsten Weise um Adrians Gunst. Wegen des wirklichen Bewerbers, desjenigen, der um ihre Schwester warb, suchte sie mich öfters um meine Meinung auszuholen, – was übrigens in zarterer, scheuerer Weise, gleich wieder zurückzuckend gleichsam und so, als wollte sie hören und auch wieder nichts hören und wissen, Ines selber ebenfalls tat. Beide Schwestern hatten Vertrauen zu mir, das heißt: sie schienen mir den Wert beizulegen, der dazu befähigt und berechtigt, andere zu bewerten, wozu allerdings, das Vertrauen zu vollenden, auch noch ein gewisses Außerhalb-des-Spieles-Stehen, eine ungetrübte Neutralität gehört. Die Rolle des Vertrauten ist immer zugleich wohltuend und schmerzlich, denn man spielt sie ja immer nur unter der Voraussetzung, daß man selber nicht in Betracht kommt. Aber wieviel besser ist es doch, habe ich mir oft gesagt, der Welt Vertrauen einzuflößen, als ihre Leidenschaften zu erregen! Wieviel besser, ihr »gut«, als ihr »schön« zu erscheinen!
Ein »guter Mensch«, das war in Ines Roddes Augen wohl ein solcher, zu dem die Welt in einem rein moralischen, nicht in einem ästhetisch gereizten Verhältnis steht; daher ihr Vertrauen zu mir. Ich muß aber sagen, daß ich die Schwestern etwas ungleich bediente und meine Meinungsauskünfte über den {425} Freier Institoris doch ein wenig nach der Person der Fragerin einrichtete. Im Gespräch mit Clarissa ging ich weit mehr aus mir heraus, äußerte mich über die Motive seiner zögernden (übrigens ja nicht einseitig zögernden) Wahl als Psychologe und scheute mich nicht, mich über den die »brutalen Instinkte« vergötternden Schwachmatikus mit ihrem Einverständnis ein wenig lustig zu machen. Anders, wenn Ines selbst mich befragte. Dann nahm ich Rücksicht auf Gefühle, die ich pro forma bei ihr voraussetzte, ohne doch eigentlich an sie zu glauben, Rücksicht also vielmehr auf die Vernunftsgründe, aus denen sie aller Voraussicht nach den Mann heiraten würde, und sprach mit gehaltener Achtung von seinen soliden Eigenschaften, seinem Wissen, seiner menschlichen Sauberkeit, seinen vortrefflichen Aussichten. Meinen Worten hinlängliche Wärme zu geben, und auch wieder nicht zuviel davon, war eine heikle Aufgabe; denn gleich verantwortungsvoll schien es mir, das Mädchen in ihren Zweifeln zu bestärken und ihr das Obdach zu verleiden, nach dem es sie verlangte, wie sie zu überreden, daß sie sich, diesen Zweifeln entgegen, darunter begäbe; ja, dann und wann wollte mir, aus einem besonderen Grunde, das Zureden noch verantwortungsvoller scheinen, als das Abraten.
Sie hatte nämlich meistens bald genug davon, meine Meinung über Helmut Institoris zu hören und ging weiter in ihrem Vertrauen, verallgemeinerte es gewissermaßen, indem sie mein Urteil auch über andere Personen unseres Kreises hören wollte, zum Beispiel über Zink und Spengler, oder, daß ich noch ein Beispiel nenne, über Schwerdtfeger. Wie ich über sein Geigenspiel dächte, wollte sie wissen, über seinen Charakter; ob und in welchem Grade ich ihn achtete, welche Tönung von Ernst oder Humor diese Achtung aufweise. Ich antwortete ihr nach bestem Ermessen, mit möglichster Gerechtigkeit, geradeso, wie ich auch in diesen Blättern hier über Rudolf ge {426} sprochen habe, und sie hörte mir aufmerksam zu, um dann meine freundlich bedingten Lobsprüche durch eigene Bemerkungen zu ergänzen, denen wieder ich nur zustimmen konnte, die mich aber zum Teil auch durch ihre Eindringlichkeit frappierten: eine leidende Eindringlichkeit, die ja bei dem Charakter des Mädchens, ihrem von Mißtrauen verhängten Blick auf das Leben nicht überraschen konnte, aber, angewandt auf diesen Gegenstand, doch etwas Befremdendes hatte.
Dabei war es am Ende kein Wunder, daß sie, die den anziehenden jungen Mann so viel länger kannte, als ich, und, wie ihre Schwester, in einer Art von brüderlichem Verhältnis zu ihm stand, näher auf ihn hingeblickt hatte, als ich, und im Vertrauen Genaueres über ihn zu sagen wußte. Er sei ein Mensch ohne Laster, sagte sie (sie gebrauchte nicht das Wort, sondern irgend ein schwächeres, aber es war klar, daß sie es meinte), ein reiner Mensch – daher seine Zutraulichkeit; denn Reinheit sei zutraulich. (Ein ergreifendes Wort in ihrem Munde, da sie selber ja keineswegs zutraulich war, wenn auch ausnahmsweise zu mir.) Er trinke nicht – immer nur leicht gezuckerten Thee mit Zitrone, diesen allerdings
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