Doktor Faustus
dreimal am Tage –, und rauche nicht, – höchstens nur ganz gelegentlich und in völliger Unabhängigkeit von einem Gewohnheitszwange. Für all solche Mannesbetäubungen (ich glaube mich zu erinnern, daß sie sich so ausdrückte), für jene Narkotika also trete bei ihm der Flirt ein, dem er allerdings ganz ergeben, und für den er geboren sei – nicht für Liebe und Freundschaft, die ihm beide seiner Natur nach und gleichsam unter den Händen zum Flirt würden. Ein leichter Vogel? Ja und nein. Gewiß nicht im Sinne platter Gewöhnlichkeit. Man brauche ihn nur etwa mit Fabrikant Bullinger zusammen zu sehen, der sich so Ungeheures auf seinen Reichtum zugute tue und spottweise zu trällern pflege:
{427} »Ein frohes Herz, gesundes Blut
ist besser, als viel Geld und Gut«,
nur um die Leute noch neidischer auf sein Geld zu machen, – wenn man des Unterschiedes inne werden wollte. Aber seines Wertes immer gewahr und sich desselben bewußt zu bleiben, erschwere Rudolf einem durch seine Nettigkeit, seine Koketterie, sein gesellschaftliches Stutzertum, überhaupt seine Lust am Gesellschaftlichen, das doch eigentlich etwas Fürchterliches sei. Ob ich nicht fände, fragte sie, daß dieses ganze aufgeräumte und schmuckhafte Künstlerwesen hier am Ort, das zierliche Biedermeierfest zum Beispiel im Cococello-Club, das wir neulich mitgemacht hätten, in einem quälenden Kontrast stände zu der Traurigkeit und Verdächtigkeit des Lebens. Ob ich es nicht auch kennte, das Grauen vor der geistigen Leere und Nichtigkeit, die bei einer durchschnittlichen »Einladung« herrschten, in grellem Gegensatz zu der damit verbundenen, fieberhaften Erregung infolge des Weins, der Musik und des Unterstroms von Beziehungen zwischen den Menschen. Manchmal könne man mit Augen sehen, wie Einer sich mit Jemandem unter mechanischer Wahrung der gesellschaftlichen Formen unterhalte und dabei mit seinen Gedanken völlig abwesend sei, nämlich bei einer anderen Person, die er beobachte … Und dabei der Verfall des Schauplatzes, das fortschreitende Dérangement, das aufgelöste und unsaubere Bild eines Salons gegen Ende der »Einladung«. Sie gestehe, daß sie manchmal in ihrem Bett eine Stunde lang weine nach einer Gesellschaft …
So sprach sie noch weiter, äußerte mehr allgemeinen Kummer und Kritizismus und schien Rudolf vergessen zu haben. Als sie aber auf ihn zurückkam, hatte man wenig Zweifel, daß er ihr auch zwischendurch nicht aus dem Sinn gekommen war. Wenn sie von seinem gesellschaftlichen Stutzertum spreche, {428} sagte sie, so meine sie etwas sehr Harmloses, worüber man lachen könne, das aber gelegentlich doch auch wieder melancholisch stimme. So komme er in Gesellschaft immer als Letzter, aus dem Bedürfnis, auf sich warten zu lassen, immer die anderen auf sich. Dann trage er der Konkurrenz, der gesellschaftlichen Eifersucht Rechnung, indem er erzähle, daß er gestern da und da gewesen sei, bei Langewiesches, oder wie seine Freunde hießen; bei Rollwagens, wo die beiden rassigen Töchter seien. (»Wenn ich das Wort ›rassig‹ höre, wird mir schon angst und bange.«) Aber entschuldigend, beschwichtigend erwähne er das, in dem Sinne etwa: »Einmal mußte ich mich auch dort wieder sehen lassen«, – wobei man sicher sein könne, daß er bei jenen spreche wie hier, da er jedermann in die Illusion zu wiegen wünsche, er sei am liebsten mit ihm, – gerade als ob jeder das größte Gewicht darauf legen müßte. Aber seine Überzeugung, daß er jedem eine Herzensfreude damit bereite, habe etwas Ansteckendes. Er komme um 5 Uhr zum Tee und sage, daß er versprochen habe, zwischen ½6 und 6 Uhr irgendwo anders zu sein, bei Langewiesches oder Rollwagens, was gar nicht wahr sei. Danach bleibe er bis ½7, zum Zeichen, daß er hier lieber sei, gefesselt sei, daß die anderen warten könnten – und sei so sicher dabei, daß einen das freuen müsse, daß man sich womöglich wirklich darüber freue.
Wir lachten, aber ich tat es mit Zurückhaltung, da ich Gram zwischen ihren Brauen sah. Dabei sprach sie, als hielte sie es für nötig – oder hielt sie es wirklich für nötig? – mich vor Schwerdtfegers Liebenswürdigkeiten, d.h. davor zu warnen, ihnen allzuviel Gewicht beizulegen. Es habe nichts damit auf sich. Zufällig habe sie wohl einmal aus einiger Entfernung Wort für Wort mit angehört, wie er jemanden, von dem sie mit Sicherheit wisse, daß er ihm vollständig gleichgültig sei, aufgefordert habe, noch bei der
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