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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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erfahrener Mann, ist von jeder Verantwortung dafür zu entlasten. Er hatte eines Tages der Senatorin Rodde einen Brief geschrieben, worin er erklärte, seine Schülerin sei zwar außerordentlich intelligent und von Enthusiasmus für das Theater erfüllt, aber ihr natürliches Talent reiche nicht aus, eine erfolgreiche Bühnenlaufbahn zu gewährleisten; es fehle ihr an der primitiven Grundlage alles dramatischen Künstlertums, an komödiantischem Instinkt, an dem, was man Theaterblut nenne, und er müsse gewissenhafterweise davon abraten, daß sie den eingeschlagenen Weg weiter verfolge. Das aber hatte zu einer Tränenkrise, einem Verzweiflungsausbruch auf seiten Clarissas geführt, der der Mutter zu Herzen ging, und Hofschauspieler Seiler, der sich ja mit dem Briefe gedeckt hatte, war bestimmt worden, die Ausbildung zu beenden und durch seine Verbindungen dem jungen Mädchen zum Start in einer Anfängerstellung zu verhelfen.
    Es sind nun schon 24 Jahre, seit sich das beklagenswerte Schicksal Clarissas erfüllte, und in chronologischer Ordnung werde ich davon berichten. Hier habe ich dasjenige ihrer zarten und schmerzlichen, die Vergangenheit und das Leid kultivierenden Schwester Ines im Auge – nebst demjenigen des armen Rudi Schwerdtfeger, an welches ich mit Schrecken dachte, als ich soeben von der Involviertheit des einsamen Adrian Leverkühn in diese Vorgänge vorläufig zu sprechen nicht unterlassen konnte. Solche Antizipationen ist ja der Leser bei mir schon {416} gewohnt, und er möge sie nicht als schriftstellerische Zügellosigkeit und Wirrköpfigkeit deuten. Es ist einfach so, daß ich gewisse Dinge, die ich dann und dann werde zu erzählen haben, mit Furcht und Sorge, ja mit Grauen von weitem ins Auge fasse, daß sie mir sehr drückend vorstehen, und daß ich ihr Gewicht zu verteilen suche, indem ich sie schon vorzeitig anspielungsweise und freilich nur mir selbst verständlich zu Worte kommen – sie halb und halb bereits aus dem Sacke lasse. Damit meine ich mir ihre künftige Mitteilung zu erleichtern, ihnen den Stachel des Entsetzens zu nehmen, ihre Unheimlichkeit zu verdünnen. Soviel zur Entschuldigung einer »fehlerhaften« Vortragstechnik und zum Verständnis meiner Nöte. – Daß Adrian den Anfängen der Entwicklungen, von denen hier die Rede ist, ganz ferne stand, ihnen kaum Augenmerk schenkte und nur durch mich, dem viel mehr gesellschaftliche Neugier, oder soll ich sagen: menschliche Teilnahme, eigen war, als ihm, in gewissem Grade darauf hingelenkt wurde, brauche ich nicht erst zu sagen. Es handelte sich um Folgendes.
    Wie früher schon angedeutet, harmonierten beide Schwestern Rodde, Clarissa sowohl wie Ines, nicht sonderlich mit ihrer Mutter, der Senatorin, und gaben nicht selten zu erkennen, daß ihnen die zahme, leicht lüsterne Halb-Bohême ihres Salons, ihres entwurzelten, wenn auch mit Resten patrizischer Bürgerlichkeit möblierten Daseins auf die Nerven ging. Beide strebten in verschiedenen Richtungen aus dem hybriden Zustande fort: die stolze Clarissa hinaus in ein entschiedenes Künstlertum, zu dem es ihr doch, wie ihr Meister nach einiger Zeit hatte feststellen müssen, an der rechten Blutsberufung fehlte; die fein-melancholische und von Grund aus lebensängstliche Ines dagegen zurück in das Obdach, den seelischen Schutz gesicherten Bürgerstandes, wozu der Weg eine respektable, womöglich aus Liebe, sonst aber in Gottes Namen auch ohne Liebe geschlossene Heirat war. Ines beschritt, natürlich {417} mit der herzlich sentimentalen Zustimmung ihrer Mutter, diesen Weg – und scheiterte auf ihm ebenso, wie ihre Schwester auf dem ihren. Es stellte sich tragisch heraus, daß weder ihr persönlich dies Ideal eigentlich zukam, noch die alles verändernde und unterwühlende Epoche seine Erfüllung länger gestattete.
    Damals näherte sich ihr ein gewisser Dr. Helmut Institoris, Ästhetiker und Kunsthistoriker, Privatdozent an der Technischen Hochschule, wo er, Photographien im Hörsaal herumschickend, über die Theorie des Schönen und die Baukunst der Renaissance las, aber mit guten Aussichten, eines Tages auch an die Universität berufen und Professor, Ordinarius, Mitglied der Akademie etc. zu werden, besonders wenn er, der Junggeselle aus vermöglicher Würzburger Familie, Anwärter eines bedeutenden Erbteils, die Stattlichkeit seines Daseins durch die Gründung eines die Gesellschaft versammelnden Hausstandes erhöhte. Er ging auf Freiersfüßen und brauchte dabei nicht Sorge zu

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