Doktor Faustus
tragen um die finanziellen Verhältnisse des Mädchens seiner Wahl, – im Gegenteil, er gehörte wohl zu den Männern, die in der Ehe ganz allein das wirtschaftliche Heft in Händen zu haben und die Gattin ganz von sich abhängig zu wissen wünschen.
Von Stärkegefühl zeugt das nicht, und Institoris war in der Tat kein starker Mann, – was sich auch an der ästhetischen Bewunderung erkennen ließ, die er für alles Starke und rücksichtslos Blühende hegte. Er war ein blonder Langschädel, eher klein und recht elegant, mit glattem, gescheiteltem, etwas geöltem Haar. Den Mund überhing leicht ein blonder Schnurrbart, und hinter der goldenen Brille blickten die blauen Augen mit zartem, edlem Ausdruck, der es schwer verständlich – oder vielleicht eben gerade verständlich – machte, daß er die Brutalität verehrte, natürlich nur, wenn sie schön war. Er gehörte dem von jenen Jahrzehnten gezüchteten Typ an, der, wie Baptist Spengler es einmal treffend ausdrückte, »während {418} ihm die Schwindsucht auf den Wangenknochen glüht, beständig schreit: Wie ist das Leben so stark und schön!«
Nun, Institoris schrie nicht, er sprach vielmehr leise und lispelnd, selbst wenn er die italienische Renaissance als eine Zeit verkündete, die »von Blut und Schönheit geraucht« habe. Und er war auch nicht schwindsüchtig, hatte höchstens, wie fast jedermann, in früher Jugend eine leichte Tuberkulose durchgemacht. Aber zart und nervös war er, litt am Sympathikus, dem Sonnengeflecht, von dem so viele Beängstigungen und verfrühte Todesgefühle ausgehen, und war Stammgast eines Sanatoriums für reiche Leute in Meran. Sicherlich versprach er sich – und versprachen seine Ärzte ihm – von dem Gleichmaß eines gepflegten Ehelebens auch eine Stärkung seiner Gesundheit.
Winter 1913–14 also näherte er sich unserer Ines Rodde auf eine Weise, die erraten ließ, daß es auf eine Verlobung hinauslaufen würde. Diese ließ zwar noch eine geraume Weile, bis in die erste Kriegszeit hinein, auf sich warten: Ängstlichkeit und Gewissenhaftigkeit auf beiden Seiten drangen wohl auf längere, sorgfältige Prüfung der Frage, ob man auch wirklich für einander geboren sei. Aber eben diese Frage schien, wenn man das »Pärchen«, sei es im Salon der Senatorin, wo Institoris sich schicklich eingeführt hatte, oder auf öffentlichen Festen, oft in gesondertem Plauderwinkel, bei einander sah, zwischen ihnen, geradezu oder in halben Worten, erörtert zu werden, und der beobachtende Menschenfreund, der etwas wie eine Vor- und Probeverlobung schweben sah, fühlte sich unwillkürlich gehalten, an dieser Erörterung innerlich teilzunehmen.
Daß Helmut gerade auf Ines seine Augen geworfen, darüber mochte man sich wundern, um es am Ende doch ganz wohl zu verstehen. Ein Renaissance-Weib war sie nicht, – nichts weniger als das in ihrer seelischen Gebrechlichkeit, mit ihrem verhängten Blick voll distinguierter Trauer, ihrem schräg vorgescho {419} benen Hälschen und ihrem zu schwacher und prekärer Schelmerei gespitzten Mund. Aber mit seinem ästhetischen Ideal hätte dieser Freier ja auch gar nicht zu leben gewußt; seine männliche Überlegenheit wäre dabei völlig zu kurz gekommen, – man brauchte ihn sich nur an der Seite einer tönenden Vollnatur wie der Orlanda vorzustellen, um sich davon humoristisch zu überzeugen. Auch war Ines keineswegs ohne weiblichen Reiz; daß ein Umschau haltender Mann sich in ihr schweres Haar, ihre kleinen, Grübchen bildenden Hände, ihre vornehm auf sich haltende Jugend verliebt hatte, war sehr begreiflich. Sie mochte sein, was er brauchte. Ihre Umstände zogen ihn an: nämlich ihre patrizische Abkunft, die sie betonte, die aber durch ihren gegenwärtigen Zustand, ihre Verpflanztheit, eine gewisse Deklassiertheit leicht herabgesetzt war, so daß sie sein Übergewicht nicht bedrohte; vielmehr konnte er das Gefühl haben, sie zu heben, zu rehabilitieren, indem er sie zu der Seinen machte. Eine Mutter, die Witwe, halb verarmt und ein wenig vergnügungssüchtig war; eine Schwester, die zum Theater ging; ein mehr oder weniger zigeunerischer Umgangskreis, – das waren Verhältnisse, die ihm im Interesse seiner eigenen Würde nicht mißfielen, besonders, da er sich durch diese Verbindung auch wieder gesellschaftlich nichts vergab, seine Carrière nicht durch sie gefährdete und sicher sein konnte, daß Ines, von der Senatorin korrekt und gemütvoll mit einer Leinen-, vielleicht auch
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