Doktor Faustus
der Wille zu loben, sondern die {422} Gabe und diese allein als verdienstlich anzusprechen. Die Anstrengung sei pöbelhaft, vornehm allein und darum allein auch verdienstvoll, was aus Instinkt, unwillkürlich und mit Leichtigkeit geschehe. Nun war der gute Rudi gar kein Held und Überwinder und hatte seiner Lebtage nie etwas getan, was ihm nicht leichtgefallen wäre, wie zum Beispiel, und hauptsächlich, sein ausgezeichnetes Violinspiel. Aber was der andere da sagte, ging ihm doch gegen das Gemüt, und obgleich er dunkel fühlte, daß es eine irgendwie »höhere«, ihm nicht zugängliche Bewandtnis damit habe, wollt' er es sich nicht bieten lassen. Mit entrüstet aufgeworfenen Lippen blickte er in Institoris' Gesicht, und seine blauen Augen bohrten sich abwechselnd in dessen rechtes und linkes.
»Nein, wie denn, das ist doch Unsinn«, sagte er eher leise und gedrückt, worin sich andeutete, daß er seiner Sache nicht so ganz sicher war. »Verdienst ist Verdienst, und Gabe ist eben keines. Du sprichst immer von Schönheit, Doktor, aber es ist doch sehr schön, wenn einer es über sich gewinnt und es besser macht, als ihm von Natur gegeben ist. Was sagst du, Ines?« wandte er sich hilfesuchend an diese, eine Anfrage, in der nun wieder völlige Naivität sich äußerte, denn er hatte keine Ahnung von der Grundsätzlichkeit, mit der Ines Rodde in solchen Dingen entgegengesetzter Meinung war, als Helmut.
»Du hast recht«, antwortete sie, indem eine feine Röte ihr Gesicht überzog. »Jedenfalls gebe ich dir recht. Die Gabe ist belustigend, aber in dem Worte ›Verdienst‹ liegt eine Bewunderung, die ihr und überhaupt dem Instinktiven nicht zukommt.«
»Da hast du's!« rief Schwerdtfeger triumphierend, und Institoris lachte zurück:
»Allerdings. Du bist vor die rechte Schmiede gegangen.«
Nun war hier aber etwas Sonderbares, das wenigstens flüchtig zu empfinden wohl niemand umhinkonnte, und das sich {423} auch in Ines' nicht gleich wieder verschwindendem Erröten bezeugte. Es lag ja durchaus in ihrer Linie, daß sie ihrem Freier in dieser und jeder ähnlichen Frage unrecht gab. Aber daß sie dem Knaben Rudolf recht gab, das lag nicht in ihrer Linie. Diesem war ja ganz unbekannt, daß es so etwas gäbe wie Immoralismus, und man kann nicht gut jemandem recht geben, der die Gegenthesis gar nicht versteht, – wenigstens nicht, bevor man sie ihm erklärt hat. In Ines' Urteilsspruch lag, obgleich er logisch ganz natürlich und gerechtfertigt war, dennoch etwas Befremdliches, und für mich wurde es unterstrichen durch das Auflachen, mit dem ihre Schwester Clarissa Schwerdtfegers unverdienten Sieg begleitete, – diese stolze Person mit zu kurzem Kinn, der es sicher nicht entging, wenn die Überlegenheit, aus Gründen, die nichts mit Überlegenheit zu tun haben, sich etwas vergab, und die ebenso gewiß der Meinung war, daß sie sich
nichts
damit vergab.
»Nun«, rief sie, »Rudolf, hopp! bedanken Sie sich, steh' auf, Jüngling, und neige dich! Hole deiner Retterin ein Eis und engagier' sie zum nächsten Walzer!«
So machte sie es immer. Sie hielt sehr stolz mit ihrer Schwester zusammen und sagte immer »Hopp!«, wenn es deren Würde galt. »Na, hopp!« sagte sie auch zu Institoris, dem Bewerber, wenn der sich in der Galanterie irgendwie langsam und begriffsstutzig erwies. Sie hielt überhaupt, aus Stolz, mit der Überlegenheit zusammen, sorgte für sie und zeigte sich höchlichst erstaunt, wenn ihr nicht gleich nach Gebühr geschah. »Wenn
der
von
dir
etwas will«, schien sie sagen zu wollen, »so hast du zu
springen
.« Ich erinnere mich wohl, wie sie zu Schwerdtfeger auch einmal »Hopp!« sagte um Adrians willen, der in Sachen eines Zapfenstößer-Konzerts irgend einen Wunsch (ich glaube, es handelte sich um eine Karte für Jeanette Scheurl) geäußert hatte, gegen dessen Erfüllung Schwerdtfeger dies oder das einzuwenden hatte.
{424} »Ja, Rudolf! Hopp!« rief sie. »Um Gottes willen, was ist denn? Muß man Ihnen Beine machen?«
»Nein doch, das muß man gar nicht«, erwiderte er. »Ich bin doch gewiß … Nur …«
»Da gibt es kein ›Nur‹«, trumpfte sie von oben herab, halb humoristisch, halb ernstlich strafend. Und Adrian sowohl wie Schwerdtfeger lachten, – dieser, indem er seine bekannte Jungengrimasse mit dem Mundwinkel, der Schulter vollführte und alles zu ordnen versprach.
Es war, als ob Clarissa in Rudolf eine Art von Bewerber sah, der zu »springen« hatte; und tatsächlich bemühte er sich
Weitere Kostenlose Bücher