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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Autorität ausfüllt, nicht so weit ins Extrem gehe, daß sie die bürgerliche Ordnung bei den Siegern mitgefährdet. So diente anno 1918 die Aufrechter {493} haltung der Blockade auch nach der Waffenstreckung den Westmächten dazu, die deutsche Revolution zu kontrollieren, sie im bürgerlich-demokratischen Geleise zu halten und ihrer Ausartung ins Russisch-Proletarische vorzubeugen. So konnte der sieggekrönte Bourgeois-Imperialismus nicht genug vor »Anarchie« warnen, nicht entschieden genug jedes Verhandeln mit Arbeiter- und Soldatenräten und dergleichen Körperschaften ablehnen, nicht genug versichern, daß nur mit einem
soliden
Deutschland Frieden geschlossen, nur ein solches zu essen bekommen werde. Was wir an Regierung besaßen, folgte denn auch dieser väterlichen Leitung, hielt es mit der National-Versammlung gegen die Proletarier-Diktatur, und wies Anerbietungen der Sowjets, auch wenn sie der Lieferung von Getreide galten, gehorsam zurück. Nicht zu meiner reinen Genugtuung, wenn ich das hinzufügen darf. Als mäßiger Mann und Sohn der Bildung hege ich zwar ein natürliches Entsetzen vor der radikalen Revolution und der Diktatur der Unterklasse, die ich mir von Hause aus schwerlich anders als im Bilde der Anarchie und Pöbelherrschaft, kurz der Kulturzerstörung vorzustellen vermag. Wenn ich mich aber der grotesken Anekdote erinnere, wie die beiden vom Großkapital bezahlten Retter der europäischen Gesittung, der deutsche und der italienische, zusammen durch die Florentiner Uffizien schritten, wohin sie wahrhaftig nicht gehörten, und der eine dem anderen versicherte, daß alle diese »herrlichen Kunstschätze« also der Zerstörung durch den Bolschewismus anheimgefallen wären, wenn nicht der Himmel durch ihrer beider Erhöhung dem vorgebeugt hätte, – so rücken meine Begriffe von Pöbelherrschaft sich neuartig zurecht, und die Herrschaft der Unterklasse will mir, dem deutschen Bürger, als ein Idealzustand erscheinen im nun möglich gewordenen Vergleich mit der Herrschaft
des Abschaums
. Meines Wissens hat der Bolschewismus niemals Kunstwerke zerstört. Das fiel weit eher in den {494} Aufgabenkreis derer, die behaupteten, uns vor ihm zu schützen. Fehlte denn viel, daß ihrer Lust, das Geistige zu zertreten – einer Lust, die der sogenannten Pöbelherrschaft durchaus ferne liegt – auch das Werk des Helden dieser Blätter, Adrian Leverkühns, zum Opfer gefallen wäre? Hätte nicht ihr Sieg und die historische Vollmacht, diese Welt nach ihrem scheußlichen Gutdünken einzurichten, sein Werk um Leben und Unsterblichkeit gebracht?
    Vor sechsundzwanzig Jahren war es der Widerwille gegen die selbstgerechte Tugend-Suada des Rhetor-Bourgeois und »Sohnes der Revolution«, der sich in meinem Herzen als stärker erwies, denn die Furcht vor Unordnung und mich wünschen ließ, was jener eben nicht wünschte: die Anlehnung meines geschlagenen Landes an seinen Bruder im Leide, an Rußland, – wobei ich bereit war, die sozialen Umwälzungen in Kauf zu nehmen, ja gutzuheißen, die sich aus solcher Genossenschaft ergeben würden. Die russische Revolution erschütterte mich, und die historische Überlegenheit ihrer Prinzipien über diejenigen der Mächte, die uns den Fuß auf den Nacken setzten, litt in meinen Augen keinen Zweifel.
    Seither hat die Geschichte mich gelehrt, unsere Besieger von damals, die es nächstens im Bunde mit der Revolution des Ostens wieder sein werden, mit anderen Augen zu betrachten. Es ist wahr: gewisse Schichten der bürgerlichen Demokratie schienen und scheinen heute reif für das, was ich die Herrschaft des Abschaums nannte, – willig zum Bündnis damit, um ihre Privilegien zu fristen. Dennoch sind ihr Führer erstanden, welche, nicht anders als ich, der Sohn des Humanismus, in dieser Herrschaft das Letzte sahen, was der Menschheit auferlegt werden konnte und durfte, und ihre Welt zum Kampf auf Leben und Tod dagegen bewogen. Nicht genug ist das diesen Männern zu danken, und es beweist, daß die Demokratie der Westländer, bei aller Überholtheit ihrer Institutionen durch die {495} Zeit, aller Verstocktheit ihres Freiheitsbegriffs gegen das Neue und Notwendige, wesentlich doch auf der Linie des menschlichen Fortschritts, des guten Willens zur Vervollkommnung der Gesellschaft liegt und der Erneuerung, Ausbesserung, Verjüngung, der Überführung in lebensgerechtere Zustände ihrer Natur nach fähig ist. –
    Alles dieses am Rande. Was ich hier biographisch in Erinnerung bringe,

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