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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Schoß, mit der verglichen die Niederlage von damals als mäßiges Mißgeschick, als verständige Liquidierung eines verfehlten Unternehmens erscheint. Ein schmähliches Ende bleibt immer etwas anderes, Normaleres noch, als ein Strafgericht, wie es anjetzo über uns schwebt, wie es dereinst auf Sodom und Gomorra fiel, und wie wir es jenes erste Mal denn doch nicht heraufbeschworen hatten.
    Daß es herannaht, daß es längst nicht mehr aufzuhalten ist – ich kann nicht glauben, daß irgend jemand noch den leisesten Zweifel daran hegt. Monsignore Hinterpförtner und ich stehen ganz gewiß nicht länger allein mit der schauerlichen und zugleich – Gott helfe uns! – heimlich erhebenden Erkenntnis. Daß diese in Schweigen gehüllt bleibt, ist eine gespenstische Tatsache für sich. Denn mag es schon unheimlich sein, wenn unter einer großen Menge Verblendeter einige wenige Wissende versiegelten Mundes wohnen müssen, – das Grausen, so scheint mir, vollendet sich, wenn eigentlich alle schon wissen, aber zusammen in Schweigen gebannt sind, während einer dem andern die Wahrheit von den sich versteckenden oder angstvoll starrenden Augen liest.
    {489} Während ich treulich von Tag zu Tag, in stiller Dauer-Erregung meiner biographischen Aufgabe gerecht zu werden, dem Intimen und Persönlichen eine würdige Gestalt zu geben suchte, habe ich geschehen lassen, was draußen geschah, und was der Zeit angehört, in der ich schreibe. Die Invasion Frankreichs, als Möglichkeit längst anerkannt, hat sich vollzogen, – eine mit vollkommener Umsicht vorbereitete technisch-militärische Leistung ersten, oder überhaupt neuen Ranges, an der wir den Feind umso weniger hindern konnten, als wir nicht wagen durften, unsere Abwehrkräfte an dem einen Punkte der Landung zu versammeln, ungewiß, ob er nicht als einer unter anderen angesehen werden müsse und weitere Angriffe an unerratbaren Stellen vielleicht zu erwarten seien. Vergebens und verderblich der Argwohn: Dies war es. Und bald waren es der zu Strande gebrachten Truppen, Tanks, Geschütze und jederlei Bedarfes mehr, als wir wieder ins Meer zu werfen vermochten. Cherbourg, dessen Hafen, wie wir vertrauen dürfen, von deutscher Ingenieurkunst gründlich unbrauchbar gemacht worden, hat nach heroischen Radiogrammen des Kommandierenden Generals sowohl wie des Admirals an den Führer kapituliert, und seit Tagen schon tobt eine Schlacht, deren Streitgegenstand die normannische Stadt Caën ist, – ein Kampf, der eigentlich wohl bereits, wenn unsere Besorgnis recht sieht, der Öffnung des Weges nach der französischen Hauptstadt gilt: diesem Paris, dem in der neuen Ordnung die Rolle des europäischen Lunaparks und Freudenhauses zugedacht war, und wo nun, kaum noch in Zaum gehalten von den vereinten Kräften unserer Staatspolizei und ihrer französischen Mitarbeiter, der Widerstand keck sein Haupt erhebt.
    Ja, wie vieles ist geschehen, was in mein einsames Tun hineinspielte, ohne daß ich mir etwas davon merken ließ! Es war nicht viele Tage nach der erstaunlichen Landung in der Normandie, daß unsere neue Vergeltungswaffe, vom Führer schon {490} mehrfach mit inniger Freude vorauserwähnt, auf der Szene des westlichen Kriegstheaters erschien: die Robot-Bombe, ein bewunderungswürdiges Kampfmittel, wie nur heilige Not es dem Erfinder-Genius eingeben kann, – diese unbemannten Flügelboten der Zerstörung, die, zahlreich von der französischen Küste abgelassen, explodierend über Süd-England niedergehen und, wenn nicht alles täuscht, binnen kurzem zu einer wahren Kalamität für den Gegner geworden sind. Werden sie Wesentliches zu verhüten im Stande sein? Das Schicksal hat nicht gewollt, daß die notwendigen Installationen rechtzeitig fertig wurden, um durch die Fluggeschosse die Invasion zu stören und hintan zu halten. Inzwischen liest man von der Einnahme Perugias, das, unter uns gesagt, mittwegs zwischen Rom und Florenz gelegen ist; man munkelt sogar schon von dem strategischen Plan, die apenninische Halbinsel überhaupt zu räumen, – vielleicht, um Truppen für den erlahmenden Abwehrkampf im Osten frei zu machen, wohin unsere Soldaten aber um keinen Preis geschickt zu werden wünschen. Eine russische Angriffswelle ist dort im Rollen, die über Vitebsk hingegangen ist und nun Minsk bedroht, die weißrussische Hauptstadt, nach deren Fall, wie unser Flüsterdienst wissen will, auch im Osten kein Halten mehr wäre.
    Kein Halten mehr! Seele, denk' es nicht aus! Wage nicht,

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