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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Unglück in gemüthafte Verbindung zu bringen, – meine Neigung, das eine mit dem andern in objektivem Zusammenhang, symbolischer Parallele zu sehen, diese Neigung, die eben nur durch die Tatsache der Gleichzeitigkeit mir eingegeben sein mochte, war unbesieglich durch seine Ferne von den äußeren Dingen, mochte ich den Gedanken auch sorgsam bei mir verschließen und mich wohl hüten, ihn vor ihm auch nur andeutungsweise zur Sprache zu bringen.
    Nach einem Arzt hatte Adrian nicht verlangt, weil er in seinem Leiden etwas grundsätzlich Vertrautes, eben nur eine akute Steigerung der ererbten Migräne sehen mochte. Es war Frau Schweigestill, die endlich darauf bestand, den Waldshuter Kreisphysikus, Dr. Kürbis, zuzuziehen, denselben, der einst dem Fräulein aus Bayreuth in Kindsnöten beigestanden. Der gute Mann wollte von Migräne nichts wissen, da die oft excessiven Kopfschmerzen nicht einseitig waren, wie es sich bei Migräne gehöre, sondern in einer wühlenden Qual in und über {498} beiden Augen bestanden und übrigens von dem Doktor als Symptom begleitenden Charakters gewertet wurden. Seine Diagnose lautete, übrigens mit Vorbehalt, auf etwas wie ein Magengeschwür, und indem er den Patienten auf eine gelegentliche Blutung vorbereitete, die aber nicht eintrat, verordnete er eine Höllensteinlösung, innerlich einzunehmen. Da das nicht anschlug, ging er zur Verabreichung starker Dosen Chinin über, zweimal täglich zu nehmen, die tatsächlich vorübergehend Erleichterung brachten. In Abständen von zwei Wochen jedoch, und dann für zwei ganze Tage, erneuerten sich die schwerer Seekrankheit sehr ähnlichen Anfälle, und Kürbissens Krankheitsbestimmung kam bald ins Schwanken oder befestigte sich in anderem Sinn: er glaubte das Leiden meines Freundes nun mit Sicherheit als einen chronischen Magenkatarrh mit bedeutender, und zwar rechtsseitiger, Erweiterung des Magens ansprechen zu sollen, verbunden mit Blutstauungen, die die Ernährung des Kopfes mit Blut beeinträchtigten. Er verschrieb nun Karlsbader Sprudelsalz und eine Diät, die vom Gesichtspunkt möglichst geringen Volumens bestimmt war, so daß der Speisezettel fast nur zartes Fleisch aufführte und Flüssigkeiten, Suppe, auch Gemüse, Mehliges, Brot verpönte. Dies richtete sich auch gegen die verzweifelt heftige Säurebildung, an der Adrian litt, und die Kürbis wenigstens zum Teil nervösen Ursachen zuzuschreiben geneigt war, also einer Zentralwirkung, also dem Gehirn, das hier zum ersten Mal in seinen diagnostischen Spekulationen eine Rolle zu spielen begann. Mehr und mehr schob er, da die Magenerweiterung kuriert war, ohne daß Kopfschmerzen und schwere Übelkeiten darum ausgeblieben wären, die Leidenserscheinungen auf das Gehirn ab, – bestärkt hierin durch das dringliche Verlangen des Kranken, verschont zu sein vom Lichte: Auch wenn er außer Bett war, verbrachte er halbe Tage im dicht verdunkelten Zimmer, da ein sonniger Vormittag genügt hatte, seine {499} Nerven so weit zu ermüden, daß er nach Finsternis dürstete und sie wie ein wohltätiges Element genoß. Ich selbst habe manche Tagesstunde in der Abtsstube, die so verdunkelt war, daß man erst nach längerer Gewöhnung die Umrisse der Möbel, einen bleichen Außenschein auf den Wänden unterschied, plaudernd mit ihm verbracht.
    Um diese Zeit waren Eiskappen und kalte Übergießungen des Kopfes am Morgen die verordneten Anwendungen, und sie schlugen besser an, als die vorigen, wenn auch nur als Palliativmittel, deren mildernde Wirkung nicht erlaubte, von Genesung zu reden: Der unheimliche Zustand war nicht behoben, intermittierend kehrten die Anfälle wieder, und der Heimgesuchte erklärte, sie wohl aushalten zu wollen, wenn nicht das zwischenein Fortwährende gewesen wäre, der beständige Schmerz und Druck im Kopf, auf den Augen, das schwer zu beschreibende, lähmungsartige Gesamtgefühl vom Scheitel bis zu den Fußspitzen, das auch die Sprachorgane zu beschweren schien, so daß die Rede des Leidenden, ob er sich dessen nun bewußt war oder nicht, zuweilen etwas Schleppendes und, durch trägen Gebrauch der Lippen, etwas mangelhaft Artikuliertes hatte. Eher glaube ich, daß er nicht acht darauf gab, denn er ließ sich am Sprechen dadurch nicht hindern; aber andererseits hatte ich zuweilen den Eindruck, daß er sich der Hemmung geradezu bediente und sich in ihr gefiel, um auf eine gewisse nicht ganz ausgebildete, nur halb zum Verstanden-werden bestimmte Weise, wie aus dem Traume redend,

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