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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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möglich sei: Ich erinnere mich, daß ich schonend andeutete, wie es doch nicht gerade das Vital-Herrlichste, Vollkommenste, Begehrenswerteste sei, woran hier die Leidenschaft sich klammerte; daß sich anläßlich der Entscheidung über die Kriegsdiensttauglichkeit ein physiologischer Funktionsdefekt, eine Organ-Resektion herausgestellt habe. Die Antwort lautete in dem Sinne, daß diese Einschränkung das Liebenswürdige dem leidenden Geiste näher bringe; daß ohne sie für diesen gar keine Hoffnung bestanden hätte und sie es sei, die den Flattersinn dem Ruf des Schmerzes überhaupt zugänglich gemacht habe; mehr noch und bezeichnend genug: daß die Lebensverkürzung, die etwa daraus resultiere, für das Besitzverlangen eher ein Trost, eine Beruhigung und Versicherung, als eine Herabstimmung bedeute … Im übrigen waren alle sonderbar beklemmenden Einzelheiten des Gesprächs wieder da, in dem sie mir ihre Verfallenheit zuerst entdeckt hatte, nur gelöst jetzt in fast boshafter Genugtuung: Er mochte nun durch die begütigende Bemerkung, daß er sich auch bei Langewiesches oder Rollwagens, Leuten, die man selber nicht kannte, einmal wieder habe blicken lassen müssen, verraten, daß er dort ebenso sprach und sagte, er habe sich doch auch wieder blicken lassen müssen bei ihr, – es ließ sich nun Triumphierendes dabei denken. Die »Rassigkeit« der Rollwagen'schen Töchter war keine Angst und Pein mehr, Mund an Mund mit ihm, und entgiftet waren die Nettigkeitsbitten an gleichgültige Menschen, doch noch nicht wegzugehen. Das gräßliche »Es sind schon so viele unglücklich!« – es gab ein Seufzen, durch das dem Wort der Stachel der Schmach gebrochen war. Diese Frau war offenbar von dem Gedanken erfüllt, daß sie zwar der Welt des Wissens {487} und Leidens gehöre, zugleich aber
Weib
sei und in ihrer Weiblichkeit das Mittel besitze, Leben und Glück an sich zu reißen, den Übermut an ihrem Herzen zum Erliegen zu bringen. Früher war allenfalls durch einen Blick, ein ernstes Wort die Torheit einen Augenblick nachdenklich zu stimmen, vorübergehend zu gewinnen gewesen; man hatte sie anhalten können, ihr nichtsnutziges Adieu-Sagen, noch einmal zurückkehrend, durch ein stilles und ernsthaftes zu korrigieren. Nun waren diese ephemeren Gewinne befestigt im Besitz, in der Vereinigung, – soweit Besitz und Vereinigung möglich waren in der Zweiheit, so weit eine verschattete Weiblichkeit sie zu sichern vermochte. Es war diese, der Ines mißtraute, indem sie ihren Unglauben zu erkennen gab an die Treue des Geliebten. »Serenus«, sagte sie, »es ist unausbleiblich, ich weiß es, er wird mich verlassen.« Und ich sah die Falten zwischen ihren Brauen sich mit verbohrtem Ausdruck vertiefen. »Aber dann wehe ihm! Wehe mir!« setzte sie tonlos hinzu, und ich konnte nicht umhin, mich an Adrians Wort zu erinnern, als ich ihm zuerst von dem Verhältnis erzählt: »Er soll sehen, daß er heil aus der Sache davonkommt!«
    Für mich war das Gespräch ein wirkliches Opfer. Es dauerte zwei Stunden, und viel Selbstverleugnung, menschliche Sympathie, freundschaftlich guter Wille waren nötig, es durchzustehen. Ines schien sich dessen auch bewußt zu sein, aber merkwürdig, ich muß es sagen: ihre Dankbarkeit für die Geduld, Zeit, Nervenkraft, die man ihr widmete, war, mir unverkennbar, kompliziert durch eine gewisse boshafte Genugtuung darüber, etwas wie Schadenfreude, die sich in einem gelegentlichen enigmatischen Lächeln verriet, und an die ich noch heute nicht denken kann, ohne mich zu wundern, daß ich solange aushielt. Tatsächlich saßen wir, bis Institoris aus der »Allotria« zurückkehrte, wo er mit Herren der Gesellschaft Tarock gespielt hatte. Ein Ausdruck verlegenen Erratens überflog sein {488} Gesicht, als er uns noch beisammen sah. Er dankte mir für die freundliche Vertretung, und ich setzte mich nicht mehr nach der Wiederbegrüßung mit ihm. Ich küßte der Hausfrau die Hand und ging, recht entnervt, halb verärgert, halb teilnahmsvoll erschüttert, durch die ausgestorbenen Straßen nach meinem Quartier.

XXXIII
    Die Zeit, von der ich schreibe, war für uns Deutsche eine Aera des staatlichen Zusammenbruchs, der Kapitulation, der Erschöpfungsrevolte und des hilflosen Dahingegebenseins in die Hände der Fremden. Die Zeit,
in
der ich schreibe, die mir dienen muß, in stiller Abgeschiedenheit diese Erinnerungen zu Papier zu bringen, trägt, gräßlich schwellenden Bauches, eine vaterländische Katastrophe im

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