Doktor Faustus
zu ermessen, was es heißen würde, wenn in unserem extremen, durchaus einmalig-furchtbar gelagerten Fall, die Dämme brächen – wie sie zu brechen im Begriffe sind – und es kein Halten mehr gäbe gegen den unermeßlichen Haß, den wir unter den Völkern ringsum gegen uns zu entfachen gewußt haben! Zwar ist durch die Zerstörung unserer Städte aus der Luft auch Deutschland längst zum Kriegsschauplatz geworden; doch aber bleibt der Gedanke, es könnte im eigentlichen Sinne dazu werden, uns unfaßbar und unzulässig, und unsere Propaganda hat eine seltsame Art, den Feind vor der Verletzung unseres {491} Bodens, des heiligen deutschen Bodens, wie vor einer grausen Untat zu
warnen
… Der heilige deutsche Boden! Als ob noch irgend etwas an ihm heilig, als ob er nicht durch ein Unmaß von Rechtsbeleidigung längst über und über entweiht wäre und nicht moralisch ebenso, wie tatsächlich, der Gewalt, dem Strafgericht offenläge. Es komme! Nichts anderes bleibt mehr zu hoffen, zu wollen, zu wünschen. Der Ruf nach Frieden mit den Angelsachsen, das Anerbieten, den Kampf gegen die sarmatische Flut allein weiterzuführen, die Forderung, vom Gebot unbedingter Übergabe etwas abzulassen, das heißt: zu verhandeln, und zwar mit wem?, ist nichts als augenrollender Unsinn, das Verlangen eines Regimes, das nicht begreifen will, noch heute scheinbar nicht versteht, daß ihm der Stab gebrochen ist, daß es zu verschwinden hat, beladen mit dem Fluch – selbst unerträglich der Welt –, uns, Deutschland, das Reich, – ich gehe weiter und sage: das Deutschtum, alles Deutsche der Welt unerträglich gemacht zu haben. – –
Hier ist der Hintergrund meines biographischen Tuns im gegenwärtigen Augenblick. Ich glaube, eine Skizze davon dem Leser wieder einmal schuldig zu sein. Den Hintergrund meiner Erzählung selbst angehend, zu dem Zeitpunkt, bis zu welchem ich sie vorgetrieben, so habe ich ihn eingangs dieses Kapitels mit der Redewendung »In den Händen der Fremden« gekennzeichnet. »Es ist furchtbar, in die Hände der Fremden zu fallen«, diesen Satz und seine bittere Wahrheit durchdachte und durchlitt ich oft in jenen Tagen des Zusammenbruchs und der Übergabe; denn als deutscher Mann hege ich ungeachtet einer universalistischen Tönung, die mein Weltverhältnis durch katholische Überlieferung erfährt, ein lebendiges Gefühl für die nationale Sonderart, das charakteristische Eigenleben meines Landes, seine Idee, sozusagen, wie sie sich als Brechung des Menschlichen gegen andere, ohne Zweifel gleichberechtigte Abwandlungen desselben behauptet und nur bei einem ge {492} wissen äußeren Ansehen, im Schutz eines aufrechten Staats sich behaupten kann. Das neuartig Entsetzliche einer entscheidenden militärischen Niederlage ist die Überwältigung dieser Idee, ihre physische Widerlegung, durch eine, vor allen Dingen auch sprachgebundene, fremde Ideologie, das völlige Anheimgegebensein an diese, von der doch, eben weil sie fremd ist, für das eigene Wesen offenbar nichts Gutes kommen kann. Dies schaurige Erlebnis kosteten die geschlagenen Franzosen das vorige Mal, als ihre Unterhändler, um die Bedingungen des Siegers zu mildern, den Ruhm, la gloire, des Einzugs unserer Truppen in Paris sehr hoch veranschlagten und der deutsche Staatsmann ihnen erwiderte, das Wort gloire, oder irgendein Äquivalent dafür, komme in unserem Vokabular nicht vor. Es war davon 1870, erschrocken gedämpften Tones, in der französischen Kammer die Rede. Ängstlich suchte man sich klarzumachen, was es bedeute, einem Gegner auf Gnade und Ungnade erlegen zu sein, dessen Begriffswelt die gloire nicht kenne …
Oft habe ich daran gedacht, als der jakobinisch-puritanische Tugend-Jargon, der vier Jahre lang schon die Kriegspropaganda der »Einverstandenen« bestritten hatte, zur gültigen Sprache des Sieges geworden war. Auch fand ich bestätigt, daß von der Kapitulation nicht weit ist zur reinen Abdankung und zu dem Antrage, der Sieger möge die Verwaltung des gefallenen Landes gefälligst selbst, nach eigener Idee, übernehmen, da es für sein Teil nicht mehr aus und ein wisse. Solche Regungen hatte Frankreich achtundvierzig Jahre früher gekannt, und auch uns waren sie jetzt nicht fremd. Sie werden jedoch zurückgewiesen. Der Gefallene bleibt gehalten, irgendwie für sich selber aufzukommen, und eine Gängelung von außen findet nur zu dem Zwecke statt, zu verhüten, daß die Revolution, die das Vakuum nach dem Hinscheiden der alten
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