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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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das Tonkünstlerfest in Weimar vom Jahre zwanzig und das erste Musikfest zu Donaueschingen im folgenden Jahr. Bei beiden Gelegenheiten wurden – leider in des Komponisten Abwesenheit – vor einem keineswegs unempfänglichen, ich möchte sagen: künstlerisch-»republikanisch« gesinnten Publikum, neben anderen Beispielen einer neuen geistig-musikalischen Haltung auch Werke Leverkühns geboten: in Weimar die Kosmische Symphonie unter der rhythmisch besonders zuverlässigen Leitung Bruno Walters, an dem badischen Festort, in Verbindung mit Hans Platners berühmtem Marionettentheater, alle fünf Stücke der »Gesta Romanorum«, – ein das Gemüt zwischen frommer Rührung und Gelächter wie nie zuvor hin und her reißendes Erlebnis.
    Gedenken aber auch will ich des Anteils, den deutsche Künstler und Kunstfreunde an der Gründung der »Internationalen Gesellschaft für neue Musik« im Jahre zweiundzwanzig hatten, und der Veranstaltungen dieses Verbandes zwei Jahre später in Prag, wobei schon Chor- und Instrumentalfragmente aus Adrians »Apocalipsis cum figuris« vor einer mit berühmten Gästen aus allen Musikländern stark durchsetzten Hörerschaft erklangen. Das Werk war damals bereits im Druck erschienen, und zwar nicht, wie Leverkühns frühere Arbeiten, bei Schott in Mainz, sondern im Rahmen der »Universal-Edition« in Wien, deren noch jugendlicher, kaum dreißigjähriger, aber im musikalischen Leben Mittel-Europas eine einflußreiche Rolle spielender Direktor namens Dr. Edelmann eines Tages, nämlich zu einem Zeitpunkt, als die »Apokalypse« noch nicht einmal vollendet war (es war in den Wochen der Unterbrechung durch den Krankheitsrückfall), ganz überraschend in Pfeiffering aufgetaucht war, um dem Gast der Schweigestills seine verlegerischen Dienste anzubieten. Der Besuch stand in erklärtem Zu {565} sammenhang mit einem dem Schaffen Adrians gewidmeten Artikel, der kürzlich in der radikal-progressiven Wiener Musikzeitschrift »Der Anbruch« erschienen war und aus der Feder des ungarischen Musikologen und Kultur-Philosophen Desiderius Fehér stammte. Fehér hatte über die intellektuelle Höhe und religiösen Gehalte, den Stolz und die Verzweiflung, die sündige, ins Inspirative getriebene Klugheit der Musik, auf die er da die Kulturwelt hinwies, sich mit einer Innigkeit ausgedrückt, die verstärkt wurde durch die eingestandene Scham darüber, daß der Schreiber nicht auf eigene Hand dies Interessanteste und Ergreifendste entdeckt, nicht kraft eigener innerer Führung darauf gestoßen war, sondern von außen, oder, wie er sagte, von oben, aus einer Sphäre, höher als alle Gelehrsamkeit, der Sphäre der Liebe und des Glaubens, des Ewig-Weiblichen mit einem Wort, hatte darauf hingelenkt werden müssen. Kurzum, der Aufsatz, der, seinem Gegenstand nicht unangemessen, das Analytische mit dem Lyrischen mischte, ließ, allerdings in sehr vagen Umrissen, die Gestalt einer sensitiven, wissenden und für ihr Wissen tätig werbenden Frau durchscheinen, die seine eigentliche Inspiratorin war. Da aber Dr. Edelmanns Besuch sich als angeregt von der Wiener Veröffentlichung erwies, so konnte man sagen, daß mittelbar auch dieser Besuch eine Bewerkstelligung jener zarten, sich im Verborgenen haltenden Energie und Liebe war.
    Nur mittelbar? Ich bin nicht ganz sicher. Ich halte für möglich, daß auch dem jungen Musik-Geschäftsmann direkte Anregungen, Winke, Weisungen aus der »Sphäre« zugekommen waren, und ich werde in dieser Vermutung bestärkt durch die Tatsache, daß er mehr wußte, als der Artikel, ein wenig geheimnistuerisch, mitzuteilen sich herbeigelassen hatte: daß er den
Namen
wußte und ihn nannte, – nicht gleich, nicht von vornherein, aber im Lauf der Unterhaltung, gegen ihr Ende hin. Nachdem er fast abgewiesen worden war, aber verstanden hat {566} te, seinen Empfang durchzusetzen, hatte er Leverkühn um Mitteilungen über seine laufende Produktion gebeten, hatte von dem Oratorium gehört – zum ersten Mal? Ich bezweifle es! – und es erreicht, daß Adrian, obgleich leidend bis zur Hinfälligkeit, ihm im Nike-Saal größere Partien aus dem Manuskript vorspielte, worauf Edelmann das Werk vom Fleck weg für die »Edition« erworben hatte: der Vertrag kam am nächsten Tage aus dem Hotel »Bayerischer Hof« in München. Bevor er aber gegangen war, hatte er Adrian, sich der wienerischen, aus dem Französischen übernommenen Anrede bedienend, gefragt:
    »Kennen Sie, Meister«, – ich glaube sogar, er

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