Doktor Faustus
sagte: »Kennen Meister« – »die Frau von Tolna?«
Ich bin im Begriffe, eine Figur in meine Erzählung einzuführen, wie ein Romanverfasser sie seinen Lesern niemals bieten dürfte, da
Unsichtbarkeit
in offenbarem Widerspruch zu den Bedingungen des Künstlerischen und also auch der Romanerzählung steht. Frau von Tolna aber ist eine unsichtbare Figur. Ich kann sie dem Leser nicht vor Augen stellen, von ihrem Äußeren nicht das kleinste Zeugnis geben, denn ich habe sie nicht gesehen und nie eine Beschreibung von ihr empfangen, da niemand aus meiner Bekanntschaft sie je gesehen hat. Ich lasse dahingestellt, ob Dr. Edelmann, ob auch nur jener Mitarbeiter des »Anbruch«, der ihr Landsmann war, sich ihrer Bekanntschaft rühmen konnten. Was Adrian betraf, so antwortete er damals auf die Frage des Wieners verneinend. Er kenne die Dame nicht, sagte er, – aber ohne seinerseits zu fragen, wer das denn sei; weshalb denn auch Edelmann davon abstand, Aufklärungen zu geben, sondern nur erwiderte:
»Jedenfalls haben Sie« – oder: »haben Meister« – »keine wärmere Verehrerin.«
Offenbar nahm er das »Nicht kennen« als die bedingte und in Diskretion gehüllte Wahrheit, die es war. Adrian konnte antworten, wie er es tat, weil es in seinen Beziehungen zu der {567} ungarischen Aristokratin an jeder persönlichen Begegnung fehlte und – so füge ich hinzu – nach beiderseitiger stiller Übereinkunft immer fehlen sollte. Daß er seit Jahr und Tag in brieflichem Austausch mit ihr stand, einer Korrespondenz, in welcher sie sich als die klügste und genaueste Kennerin und Bekennerin seines Werkes, dazu als sorgende Freundin und Ratgeberin, als unbedingte Dienerin seiner Existenz erwies, und worin er für sein Teil an die Grenze der Mitteilsamkeit und des Vertrauens ging, deren die Einsamkeit fähig ist, – das ist eine andere Sache. Ich habe von bedürftigen Frauenseelen gesprochen, die sich durch uneigennützige Hingebung einen bescheidenen Platz in dem sicherlich unsterblichen Leben dieses Mannes eroberten. Hier ist eine dritte, ganz anders geartete, an Uneigennützigkeit jenen schlichteren nicht nur nicht nachstehend, sondern sie übertreffend: durch den asketischen Verzicht auf jede direkte Annäherung, die unverbrüchliche Observanz der Verborgenheit, der Zurückhaltung, der Nicht-Behelligung, des unsichtbar Bleibens, – das nicht wohl auf linkischer Scheu beruhen konnte, da es sich um eine Frau von Welt handelte, welche dem Einsiedler von Pfeiffering auch wirklich die Welt repräsentierte, – die Welt, wie er sie liebte, brauchte, ertrug, die Welt im Abstand, die aus intelligenter Schonung sich fern haltende Welt …
Ich sage von diesem seltenen Wesen, was ich weiß. Madame de Tolna war eine reiche Witwe, die von einem ritterlichen, aber ausschweifenden, übrigens nicht an seinen Lastern zugrunde gegangenen, sondern beim Pferderennen verunglückten Gatten als Besitzerin eines Palais in Pest, eines riesigen, einige Stunden südlich der Hauptstadt, nahe Stuhlweißenburg, zwischen Plattensee und Donau gelegenen Rittergutes, und dazu noch einer schloßartigen Villa an dem genannten See, dem Balaton, kinderlos zurückgelassen worden war. Das Gut, mit prächtigem, aus dem achtzehnten Jahrhundert bequem erneu {568} erten Herrenhaus, umfaßte außer ungeheuren Weizenfeldern ausgedehnte Zuckerrüben-Pflanzungen, deren Ernten in eigenen Raffinierbetrieben auf dem Gut verarbeitet wurden. Keinen dieser Aufenthalte, Stadthaus, Gutsschloß und Sommervilla, benutzte die Eigentümerin für irgend längere Zeit. Ganz vorwiegend, man kann sagen: fast immer, war sie auf Reisen, indem sie Heimstätten, an denen sie offenbar nicht hing, von denen Unruhe oder peinliche Erinnerungen sie vertrieben, der Obsorge von Verwaltern und Hausmeistern überließ. Sie lebte in Paris, Neapel, Ägypten, im Engadin, von Ort zu Ort begleitet von einer Jungfer, einem männlichen Angestellten, der etwas wie einen Quartiermacher und Reisemarschall abgab, und einem allein ihren Diensten gewidmeten Arzt, was auf delikate Gesundheit schließen ließ.
Ihre Beweglichkeit schien von dieser nicht betroffen, und im Verein mit einem Enthusiasmus, der auf Instinkt, Ahnung, sensitivem Wissen – Gott weiß es – geheimnisvoller Einfühlung und Seelenverwandtschaft beruhte, zeitigte sie überraschende Präsenzen. Es stellte sich heraus, daß diese Frau überall zur Stelle gewesen war und sich unauffällig ins Publikum gemischt hatte, wo immer man
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