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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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gewagt hatte, von Adrians Musik etwas erklingen zu lassen: in Lübeck (bei der verhöhnten Première der Oper), in Zürich, in Weimar, in Prag. Wie oft sie in München und also seinem Wohnsitz ganz nahe war, ohne sich bemerkbar zu machen, weiß ich nicht zu sagen. Aber sie kannte auch Pfeiffering, gelegentlich und unterderhand kam es zutage: in der Stille hatte sie von Adrians Landschaft, seiner nächsten Umgebung Kenntnis genommen, hatte, wenn ich nicht irre, geradezu unter dem Fenster der Abtsstube gestanden – und sich ungesehen wieder entfernt. Dies ist packend genug, aber noch seltsamer ergreift es mich, und noch mehr ruft es die Vorstellung der Wall- und Pilgerfahrt wach, daß sie, wie sich ebenfalls lange nachher und mehr oder weniger zufällig her {569} ausstellte, auch nach Kaisersaschern gefahren war, daß sie in Dorf Oberweiler und auf Hof Buchel selbst Bescheid wußte, also vertraut war mit dem – mich jederzeit etwas bedrückenden – Parallelismus, der zwischen dem Schauplatz von Adrians Kindheit und seinem späteren Lebensrahmen bestand.
    Ich vergaß zu erwähnen, daß sie jene Ortschaft in den Sabinerbergen, Palestrina, nicht ausgelassen, einige Wochen im Hause Manardi verweilt und, wie es schien, sich mit Signora Manardi rasch und herzlich angefreundet hatte. Wenn sie der Wirtin in ihren teils deutsch, teils französisch geschriebenen Briefen gedachte, so nannte sie sie »Mutter Manardi«, »Mère Manardi«. Die gleiche Bezeichnung ließ sie Frau Schweigestill zukommen, die sie, wie aus ihren Worten hervorging, gesehen hatte, ohne von ihr gesehen – oder beobachtet – worden zu sein. Und sie selbst? War es ihre Idee, sich diesen Mutter-Figuren anzuschließen und sie Schwester zu heißen? Welcher Name gebührte ihr – im Verhältnis zu Adrian Leverkühn? Welchen wünschte sie sich, nahm sie in Anspruch? Den einer Schutzgöttin, einer Egeria, einer geisterhaften Geliebten? Der erste Brief, den sie (aus Brüssel) an ihn richtete, war von dem Huldigungsgeschenk eines
Ringes
begleitet, wie ich seinesgleichen nie gesehen habe, was allerdings nicht viel heißen will, da Schreiber dieses in Dingen der Schätze dieser Welt wahrhaftig wenig bewandert ist. Es war ein Kleinod von – für mich – unschätzbarem Wert und von größter Schönheit. Der ziselierte Reif selbst war alt, Renaissance-Arbeit; der Stein ein großflächig geschnittenes Prachtexemplar des hellgrünen Ural-Smaragd, herrlich zu schauen. Man konnte sich denken, daß der Ring einst die Hand eines Kirchenfürsten geschmückt hatte, – die heidnische Inschrift, die er trug, sprach kaum gegen diese Vorstellung. Der Härte des Edel-Berylls nämlich, seiner oberen Schleiffläche, waren in feinsten griechischen Lettern zwei Verse eingraviert, die man auf deutsch ungefähr wie folgt wiedergeben kann:
    {570} »Welch ein Beben durchfuhr den Lorbeerbusch des Apollon!
    Beben das ganze Gebälk! Unheilige, fliehet! Entweichet!«
    Es fiel mir nicht schwer, diese Verse als die Anfangsworte eines Apollon-Hymnus des Kallimachos zu lokalisieren. Sie beschreiben mit heiligem Schrecken die Anzeichen einer Epiphanie des Gottes bei seinem Heiligtum. Die Schrift hatte in ihrer Winzigkeit vollkommene Schärfe bewahrt. Etwas verwischter erschien das darunter eingeschnittene vignettenartige Wahrzeichen, das sich, am besten unter der Lupe, als geflügelt-schlangenhaftes Ungeheuer bestimmen ließ, dessen hervorschießende Zunge die ausgebildete Gestalt eines Pfeiles hatte. Mich ließ das mythologische Phantasma an die Schuß- oder Bißwunde des Chryseischen Philoktet, dazu an den Namen denken, den Äschylos einmal dem Pfeile gibt: »Zischende geflügelte Schlange«, aber auch an die Beziehung, die zwischen den Geschossen des Phöbus und dem Sonnenstrahle besteht.
    Ich kann bezeugen, daß Adrian sich über das bedeutende, aus fremder, teilnehmender Weite ihm zugekommene Geschenk kindlich freute, es ohne Bedenken annahm und sich zwar anderen nie damit zeigte, aber den Brauch, oder soll ich sagen: den Ritus übte, es für die Stunden der Arbeit anzulegen: während der ganzen Ausführung der »Apokalypse« trug er, wie ich weiß, das Juwel an der Linken.
    Bedachte er wohl, daß der Ring das Symbol der Bindung, der Fessel, ja der Hörigkeit ist? Offenbar machte er sich keine Gedanken darüber, sondern sah in dem kostbaren Glied einer unsichtbaren Kette, das er zum Komponieren an den Finger steckte, nichts weiter, als die Verbindung seiner Einsamkeit mit der

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