Doktor Faustus
Senator«, sagte, den Finger an der Wange und kopfschüttelnd, Frau Schweigestill bei dem Anblick der halb aufrecht Hingestreckten. Mir wurde dieser nur zu überzeugende Anblick noch spät abends zuteil, als ich, von der Wirtin telephonisch benachrichtigt und von Freising herbeigeeilt, die wimmernde Mutter als alter Hausfreund bewegt und tröstend in die Arme geschlossen hatte und mit ihr, Else Schweigestill und Adrian, der mit herübergekommen war, an der Leiche stand. Dunkelblaue Stockungsflecke an Clarissas schönen Händen und in ihrem Gesicht deuteten auf einen rapiden Erstickungstod, die jähe Lähmung des Atmungszentrums durch eine Dosis Zyansäure, mit der man wohl eine Kompagnie Soldaten hätte töten können. Auf dem Tisch lag, entleert, die Unterseite aufgeschraubt, jener bronzene Behälter, das mit dem Namen des Hippokrates in griechischen Lettern beschriebene Buch, auf dem der Totenkopf ruhte. Dabei ein an ihren Verlobten gerichteter, hastig geschriebener Bleistift-Zettel des Wortlautes:
»Je t'aime. Une fois je t'ai trompé, mais je t'aime.«
Der junge Mann fand sich zu dem Begräbnis ein, dessen Vorbereitung mir zufiel. Er war untröstlich, oder vielmehr »désolé«, was, gewiß irrtümlicher Weise, nicht ganz so ernst, ein wenig redensartlicher anmutet. Ich möchte den Schmerz nicht bezweifeln, mit dem er ausrief:
»Ah, monsieur, ich liebte sie hinlänglich, um ihr zu verzeihen! Alles hätte gut werden können. Et maintenant – comme ça!«
Ja, »comme ça«! Alles hätte wohl wirklich anders kommen können, wenn er nicht solch mattes Familiensöhnchen gewesen wäre und Clarissa eine verlässigere Stütze an ihm gehabt hätte.
{558} In jener Nacht verfaßten wir, Adrian, Frau Schweigestill und ich, während die Senatorin in tiefem Jammer bei der erstarrten Hülle ihres Kindes saß, die öffentliche, von Clarissas Nächsten zu unterzeichnende Todesanzeige, der eine schonende Eindeutigkeit zu verleihen war. Wir einigten uns auf eine Formulierung, die besagte, daß die Verstorbene nach schwerem, unheilbarem Herzeleid das Zeitliche gesegnet habe. Dies hatte der Münchener Dekan gelesen, bei dem ich vorsprach, um ihn für die von der Senatorin dringend gewünschte kirchliche Bestattung zu gewinnen. Nicht allzu diplomatisch fing ich das an, indem ich von vornherein naiv-vertrauensvoll die Tatsache einbekannte, daß Clarissa den Tod einem Leben in Unehre vorgezogen habe, wovon doch der Geistliche, ein robuster Gottesmann von echt lutherischem Typ, nichts wissen wollte. Ich gestehe, daß es eine Weile dauerte, bis ich begriff, daß zwar einerseits die Kirche sich nicht inaktiviert zu sehen wünschte, daß sie aber nicht bereit war, den erklärten, wenn auch noch so ehrenhaften Selbstmord auszusegnen, – kurzum, daß der kräftige Mann nichts anderes wollte, als daß ich löge. So lenkte ich denn fast lächerlich unvermittelt ein, bezeichnete alles als unaufgeklärt, ließ einen Unglücksfall, eine Flacon-Verwechslung als möglich, ja wahrscheinlich zu und erreichte so, daß der Dickkopf, geschmeichelt denn doch für seine heilige Firma, durch das Gewicht, das man auf ihre Teilnahme legte, sich bereit erklärte, die Exequien vorzunehmen.
Sie fanden statt auf dem Münchener Waldfriedhof unter vollzähliger Beteiligung des Roddeschen Freundeskreises. Auch Rudi Schwerdtfeger, auch Zink und Spengler, sogar Schildknapp fehlten nicht. Die Trauer war aufrichtig, denn alle hatten die arme, schnippische, stolze Clarissa gern gehabt. Ines Institoris, in dichtem Schwarz, nahm an Stelle ihrer Mutter, die sich nicht sehen ließ, das Hälschen schräg vorgestreckt, in zarter Würde die Beileidsbezeugungen entgegen. Ich konnte nicht {559} umhin, in dem tragischen Ausgang des Lebensversuchs ihrer Schwester ein böses Omen für ihr eigenes Geschick zu sehen. Übrigens hatte ich im Gespräch mit ihr eher den Eindruck, daß sie Clarissa beneidete, als daß sie sie betrauerte. Die Verhältnisse ihres Gatten litten fortschreitend unter dem von gewissen Kreisen gewollten und herbeigeführten Verfall der Währung. Die Brustwehr des Luxus, dieser Schutz vor dem Leben, drohte der Ängstlichen zu schwinden, und schon war es fraglich geworden, ob man die reiche Wohnung am Englischen Garten werde halten können. Was Rudi Schwerdtfeger betraf, so hatte er zwar Clarissa, der guten Kameradin, die letzte Ehre erwiesen, aber den Friedhof so bald wie möglich wieder verlassen – nachdem er bei der nächsten Leidtragenden zu einer
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