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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Kondolenz vorgesprochen hatte, auf deren formelle Knappheit ich Adrian aufmerksam machte.
    Es war wohl das erste Mal, daß Ines den Geliebten wiedersah, seit er ihr Verhältnis gelöst hatte, – ich fürchte: mit einiger Brutalität, denn es »in netter Weise« zu tun, war bei der verzweifelten Zähigkeit, mit der sie sich daran klammerte, wohl nicht gut möglich gewesen. Wie sie da neben ihrem zierlichen Gemahl am Grabe der Schwester stand, war sie eine Verlassene und aller Mutmaßung nach entsetzlich unglücklich. Es hatte sich aber, gewissermaßen zu Trost und Ersatz, ein kleiner Verband von Frauen um sie zusammengeschlossen, dessen Mitglieder denn auch zum Teil mehr um ihretwillen, als zu Clarissas Ehren, der Trauerfeier anwohnten. Zu dieser kleinen und festen Gruppe, Genossenschaft, Körperschaft, diesem Freundschaftsklub, oder wie ich mich ausdrücken soll, gehörte die exotische Natalia Knöterich als Inessens nächste Vertraute; es gehörte aber auch dazu eine von ihrem Manne geschiedene rumänisch-siebenbürgische Schriftstellerin, Verfasserin einiger Lustspiele und Inhaberin eines Bohême-Salons in Schwabing; ferner die Hofschauspielerin Rosa Zwitscher, eine Dar {560} stellerin von oft großer nervöser Intensität, – und noch eine oder die andere weibliche Figur, deren Kennzeichnung sich hier erübrigt, besonders da ich nicht bei jeder der aktiven Zugehörigkeit zu dem Bunde ganz sicher bin.
    Der Kitt, der ihn zusammenhielt, war – der Leser ist darauf vorbereitet es zu vernehmen – das Morphium: ein überaus starkes Bindemittel; denn nicht nur, daß die Genossen einander in unheimlicher Kameradschaftlichkeit mit der beglückenden und verderblichen Droge aushalfen, sondern auch moralisch besteht eine trübselige, aber auch zärtliche und sogar wechselseitig verehrungsvolle Solidarität zwischen den Sklaven derselben Sucht und Schwäche, und in unserem Fall wurden die Sünderinnen zudem noch durch eine bestimmte Philosophie oder Maxime zusammengehalten, die von Ines Institoris ausging, und der zu ihrer Rechtfertigung alle fünf oder sechs Freundinnen beipflichteten. Ines vertrat nämlich die Ansicht – ich selbst habe sie gelegentlich aus ihrem Munde vernommen –, daß der Schmerz menschenunwürdig, daß es eine Schmach sei, zu leiden. Nun sei aber, noch ganz abgesehen von jeder konkreten und besonderen Erniedrigung durch Körperschmerz oder Herzeleid, das Leben selbst und an und für sich, das bloße Dasein, die animalische Existenz eine unwürdige Kettenlast und niedrige Beschwer, und nichts weiter als nobel und stolz, ein Akt des Menschenrechtes und geistiger Befugnis sei es, diese Bürde sozusagen abzustemmen, sich ihrer zu entlasten, Freiheit, Leichtigkeit, ein gleichsam körperloses Wohlsein zu gewinnen durch die Versorgung der Physis mit dem gesegneten Stoff, der ihr solche Emanzipation vom Leiden gewährte.
    Daß diese Philosophie die moralisch und körperlich ruinösen Folgen der verzärtelnden Gewohnheit in den Kauf nahm, gehörte offenbar zu ihrer Noblesse, und wahrscheinlich war es das Bewußtsein gemeinsamen frühen Verderbens, was die {561} Kumpaninnen zu solcher Zärtlichkeit, ja verliebten Veneration untereinander stimmte. Nicht ohne Widerwillen beobachtete ich das entzückte Aufleuchten ihrer Blicke, ihre gerührten Umarmungen und Küsse, wenn sie in Gesellschaft zusammen kamen. Ja, ich bekenne meine innere Unduldsamkeit gegen diese Selbstdispensierung, – bekenne sie mit einer gewissen Verwunderung, da ich mir sonst doch keineswegs in der Rolle des Tugendboldes und Splitterrichters gefalle. Es mag jene gewisse süßliche Verlogenheit sein, zu der das Laster führt, oder die ihm von vornherein immanent ist, was mir die unüberwindliche Abneigung einflößt. Auch verübelte ich der Ines die rücksichtslose Gleichgültigkeit gegen ihre Kinder, die sie mit der Hingabe an diesen Unfug bewies, und die denn auch alle Affenliebe zu den weißen Luxusgeschöpfen als Lüge enthüllte. Kurzum, die Frau war mir in der Seele verleidet, seit ich wußte und sah, was sie sich erlaubte, und sie bemerkte recht wohl, daß ich sie in meinem Herzen hatte fallen lassen und quittierte die Wahrnehmungen mit einem Lächeln, das mich in seiner vertrackten und spitzbübischen Bosheit an das frühere erinnerte, das sie gezeigt, als sie zwei Stunden lang meine menschliche Teilnahme an ihren Liebesschmerzen und -lüsten eingestrichen hatte.
    Ach, sie hatte wenig Grund, sich lustig zu machen, denn ein

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