Doktor Faustus
professeur«, fügte er nebenbei hinzu und reichte mir, da Adrian mich vorstellte, lässig die Hand, worauf er sich gleich wieder an die rechte Adresse wandte.
»Vous maudirez l'intrus, cher Monsieur Leverkühn«, sagte er, indem er den Namen auf der dritten Silbe betonte, so, als würde er Le Vercune geschrieben. »Mais pour moi, étant une {578} fois à Munich, c'était tout à fait impossible de manquer … O, ich spreche auch deutsch«, unterbrach er sich mit derselben, recht angenehm zu hörenden, harten Lautbildung. »Nicht gut, nicht musterhaft, aber zur Verständigung ausreichend. Du reste, je suis convaincu, daß Sie das Französische vollkommen beherrschen, – Ihre Kompositionen von Gedichten Verlaines sind der beste Beweis dafür. Mais après tout, wir sind auf deutschem Boden – auf einem wie deutschen, wie heimlichen, wie charaktervollen! Ich bin entzückt von dem Idyll, in das Sie, maître, weise genug waren, sich einzuschließen … Mais oui, certainement, setzen wir uns, merci, mille fois merci!«
Er war ein wohl vierzigjähriger fetter Mann, nicht bauchig, aber fett und weich von Gliedern, mit weißen, gepolsterten Händen, glattrasiert, vollgesichtig, mit Doppelkinn, stark gezeichneten, bogenförmigen Brauen und lustigen Mandelaugen voll mittelmeerischen Schmelzes hinter der Hornbrille. Bei gelichtetem Haar hatte er gute, weiße Zähne, die man, da er immer lächelte, immer sah. Gekleidet war er sommerlich elegant, in einen auf Taille gearbeiteten, bläulich gestreiften Flanellanzug, zu dem er Schuhe aus Leinen und gelbem Leder trug. Die Kennzeichnung, die Mutter Schweigestill ihm verliehen, war heiter gerechtfertigt durch die bequeme Sorglosigkeit seiner Manieren, diese erquickliche Leichtigkeit, die, wie seinem raschen, leicht verwischten, immer ziemlich hoch, zuweilen im Diskant einsetzenden Sprechen, so seinem ganzen Gehaben eigentümlich war und zu der Feistheit seiner Person einen gewissen Widerspruch bildete, während sie sich doch auch wieder harmonisch mit ihr verband. Ich nenne sie erquicklich, diese ihm in Fleisch und Blut übergegangene Leichtigkeit, weil sie einem tatsächlich das komisch-tröstliche Gefühl einflößte, daß man das Leben ganz unnötig schwer nähme. Immer schien sie ausdrücken zu wollen: »Aber warum denn nicht? Was denn weiter? Hat nichts zu sagen! Seien wir ver {579} gnügt!« Und unwillkürlich gab man sich Mühe, ihm in dieser Gesinnung zu folgen.
Daß er nichts weniger als ein Dummkopf war, darüber wird das, was ich aus noch heute frischer Erinnerung von seinen Reden mitteilen will, keinen Zweifel erlauben. Am besten werde ich tun, ihm ganz allein das Wort zu überlassen, da das, was Adrian oder ich allenfalls erwiderten und einwarfen, kaum eine Rolle spielte. Wir nahmen am einen Ende des wuchtigen Langtisches Platz, der das Haupt-Einrichtungsstück des Bauernsaales bildete: Adrian und ich nebeneinander, der Gast uns gegenüber. Mit seinen Wünschen, seinem Vorhaben hielt dieser nicht lange hinter dem Berge, ohne viel Umschweife kam er zur Sache.
»Maître«, sagte er, »ich verstehe vollkommen, wie Sie an der stilvollen Abgeschiedenheit hängen müssen, die Sie sich zum Aufenthalt erwählt haben, – o, ich habe alles gesehen, den Hügel, den Teich, das Kirchdorf, et puis, cette maison pleine de dignité avec son hôtesse maternelle et vigoureuse. Madame Schweige-still! Mais ça veut dire: ›Je sais me taire. Silence, silence!‹ Comme c'est charmant! Wie lange leben Sie schon hier? Zehn Jahre? Ununterbrochen? Kaum unterbrochen? C'est étonnant! O, sehr begreiflich! Und dennoch, figurez-vous, bin ich gekommen, Sie zu entführen, Sie zu vorübergehender Untreue zu verführen, Sie auf meinem Mantel durch die Lüfte zu führen und Ihnen die Reiche dieser Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen, mehr noch, sie Ihnen zu Füßen zu legen … Verzeihen Sie meine pompöse Ausdrucksweise! Sie ist wirklich ridiculement exagérée, besonders was die ›Herrlichkeit‹ betrifft. Es ist keineswegs so weit her, – keineswegs eine so aufregende Sache mit dieser Herrlichkeit, – das sage ich, der ich doch kleiner Leute Kind bin, aus sehr bescheidenen, um nicht zu sagen: miesen Verhältnissen stamme, – nämlich aus Ljublin mitten in Polen, von wirklich ganz kleinen jüdischen Eltern, – {580} ich bin Jude, müssen Sie wissen: Fitelberg, das ist ein ausgesprochen mieser, polnisch-deutsch-jüdischer Name, – nur daß ich ihn zu dem Namen eines angesehenen
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