Doktor Faustus
Spätsommertages, als ich gerade zugegen war, an einem Samstag-Nachmittag also (am Sonntag früh wollte ich nach Hause zurückkehren, da meine Frau Geburtstag hatte) in Pfeiffering vorsprach und uns, Adrian und mich, wohl eine Stunde lang lächerlich gut unterhielt, worauf er zwar unverrichteter Dinge – soweit es sich eben um Dinge und Angebote handelte –, aber ohne Empfindlichkeit wieder abzog.
Es war das Jahr 1923 – man kann nicht sagen, daß der Mann besonders früh aufgestanden war. Immerhin, er hatte die Prager, die Frankfurter Darbietungen nicht abgewartet, sie gehörten noch einer nicht fernen Zukunft an. Aber Weimar war gewesen, Donaueschingen war gewesen – wobei ich die Schweizer Aufführungen Leverkühn'scher Jugendwerke ganz beiseite lasse –, und eine erstaunliche prophetische Intuition gehörte nicht mehr dazu, um zu ahnen, daß es hier etwas zu schätzen, zu propagieren gab. Auch war die »Apokalypse« ja schon im {576} Druck erschienen, und ich halte durchaus für möglich, daß Monsieur Saul in der Lage gewesen war, das Werk zu studieren. Jedenfalls also: der Mann hatte Lunte gerochen, er wünschte sich einzuschalten, einen Ruhm aufzubauen, ein Genie ans Licht zu ziehen, es als sein Manager der Neugier der mondänen Gesellschaft, in der er sich bewegte, vorzuführen. Dergleichen einzuleiten, war der Zweck seines Besuches, seines ungenierten Eindringens in die Zuflucht schöpferischen Leidens. – Der Vorgang war dieser:
Ich war am früheren Nachmittag in Pfeiffering eingetroffen, und bei der Rückkehr von einem Spaziergang ins Feld, den wir, Adrian und ich, nach dem Tee, also kurz nach vier, unternommen, bot sich uns zu unserer Verwunderung der Anblick eines auf dem Hof, bei der Ulme haltenden Automobils, – keiner gewöhnlichen Autodroschke, sondern eines Gefährtes von mehr privatem Ansehen, wie man es, samt Chauffeur, von einem Fuhrgeschäft stunden- und tagweise mietet. Jener, der Chauffeur, auch mit Andeutungen von Herrschaftlichkeit in seiner Tracht, stand rauchend neben seinem Wagen und lüftete, als wir vorübergingen, seine Schirmmütze mit breitem Lächeln, wahrscheinlich im Gedenken an die Späße des wunderlichen Gastes, den er uns gebracht. Im Haustor trat Frau Schweigestill uns entgegen, eine Besuchskarte in der Hand und mit erschrocken gedämpfter Stimme redend. Ein »Weltmann« sei da, teilte sie uns mit, – das Wort hatte, besonders da es geflüstert wurde, als rasche Bestimmung eines Menschen, den man nur eben eingelassen, etwas wunderlich Geisterhaftes und Sibyllinisches für mich. Vielleicht sollte es zur Erläuterung der anspruchsvollen Bezeichnung dienen, daß Frau Else den Wartenden gleich darauf einen »spinnerten Uhu« nannte. »Scher Madam« habe er zu ihr gesagt, dann aber »petite Maman«, und die Clementine habe er in die Wange gezwickt. Sie habe das Kind vorläufig, bis der Weltmann weg sei, in ihrem Zimmer {577} eingeschlossen. Wegschicken habe sie ihn denn doch nicht können, da er im Auto von München gekommen sei. Er warte im großen Wohnzimmer.
Mit bedenklichen Mienen reichten wir einander die Karte, die über ihren Träger alle wünschenswerte Auskunft gab. »Saul Fitelberg. Arrangements musicaux. Représentant de nombreux artistes prominents.« Ich war froh, zu Adrians Bedeckung zur Stelle zu sein. Ungern dachte ich ihn mir allein diesem »Repräsentanten« ausgeliefert. Wir begaben uns zum Nike-Saal.
Fitelberg stand schon in der Nähe der Tür, und obgleich Adrian mich zuerst eintreten ließ, richtete sich die ganze Aufmerksamkeit des Mannes sogleich auf jenen: nach einem flüchtigen Blick durch seine Hornbrille auf mich, bog er sogar seinen feisten Oberkörper zur Seite, um hinter mir nach demjenigen auszulugen, dessentwegen er sich in die Unkosten einer zweistündigen Autofahrt gestürzt hatte. Natürlich ist es kein Kunststück, zwischen einem vom Genius Gezeichneten und einem schlichten Gymnasialprofessor zu unterscheiden; aber die rasche Orientierungsfähigkeit des Mannes, die Fixigkeit, mit der er ungeachtet meines Vorantritts meine Nebensächlichkeit erkannte und sich an den Rechten hielt, hatte trotzdem etwas Eindrucksvolles.
»Cher maître«, begann er lächelnden Mundes, mit hartem Akzent, aber ungemein flüssig zu plappern, »comme je suis heureux, comme je suis ému de vous trouver! Même pour un homme gâté, endurci comme moi, c'est toujours une expérience touchante de rencontrer un grand homme. – Enchanté, Monsieur le
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