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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Vercune, so doch vielleicht den Herrn Professor. Aber erstens beeile ich mich hinzuzufügen, daß noch nie ein solcher Konzertabend wirklich vor der Zeit abgebrochen werden mußte, – daran ist im Grunde auch den Allerentrüstetsten nichts gelegen, im Gegenteil, sie wünschen, sich noch wiederholt zu entrüsten, darin besteht der Genuß, den ihnen der Abend bereitet, und übrigens bewährt merkwürdiger Weise die kleine Zahl der Kundigen eine überlegene Autorität. Zweitens aber ist ja keineswegs gesagt, daß es bei jeder Veranstaltung fortgeschrittenen Charakters zugehen muß, wie ich andeutete. Bei genügender publizistischer Vorbereitung, hinreichender Einschüchterung der Dummheit im voraus, kann man einen durchaus würdigen Verlauf garantieren, und gerade wenn man heute einen Angehörigen der ehemals feindlichen Nationen, einen Deutschen präsentiert, ist auf ein vollkommen höfliches Verhalten des Publikums zu rechnen …
    Das ist eben die gesunde Spekulation, auf die mein Vorschlag, meine Einladung sich gründet. Ein Deutscher, un boche qui par son génie appartient au monde et qui marche à la tête du progrès musical! Das ist heutzutage eine extrem pikante Herausforderung an die Neugier, die Vorurteilslosigkeit, den Snobism, die gute Erziehung des Publikums, – desto pikanter, je weniger dieser Künstler sein nationales Gepräge, sein {583} Deutschtum verleugnet, je mehr er Gelegenheit gibt zu dem Ausruf ›Ah, ça c'est bien allemand, par exemple!‹ Denn das tun Sie, cher Maitre, pourquoi pas le dire? Sie geben diese Gelegenheit auf Schritt und Tritt, – nicht so sehr in Ihren Anfängen, zur Zeit von cette ›Phosphorescence de la mer‹ und Ihrer komischen Oper, aber später von Werk zu Werk immer mehr. Gewiß denken Sie, daß ich vor allem Ihre grimmige Disziplin im Auge habe, et que vous enchaînez votre art dans un système de règles inexorables et néo-classiques, indem Sie sie zwingen, sich in diesen eisernen Fesseln – wenn nicht mit Anmut, so doch mit Geist und Kühnheit zu bewegen. Aber wenn es das ist, was ich meine, so meine ich zugleich mehr als das, indem ich von Ihrer qualité d'Allemand spreche, – ich meine – wie mich ausdrücken? – eine gewisse Viereckigkeit, rhythmische Schwerfälligkeit, Unbeweglichkeit, grossièreté, die altertümlich deutsch sind – en effet, entre nous, man findet sie auch bei Bach. Werden Sie mir meine Kritik übelnehmen? Non, j'en suis sûr! Sie sind zu groß dazu. Ihre Themen – sie bestehen fast durchweg aus geraden Werten, Halben, Vierteln, Achteln; sie sind zwar synkopiert und hinüber gebunden, verharren aber gleichwohl in einer oft maschinell arbeitenden, stampfenden, hämmernden Unwendigkeit und Uneleganz. C'est ›boche‹ dans un degré fascinant. Glauben Sie ja nicht, daß ich es tadle! Es ist einfach énormément caractéristique, und in der Serie von Konzerten internationaler Musik, die ich vorbereite, ist diese Note ganz unentbehrlich.
    Sehen Sie, da breite ich meinen Zaubermantel aus. Ich werde Sie nach Paris führen, nach Brüssel, Antwerpen, Venedig, Kopenhagen. Man wird Sie mit dem intensivsten Interesse empfangen. Ich stelle die besten Orchester und Solisten zu Ihrer Verfügung. Sie werden die ›Phosphorescence‹ dirigieren, Stücke aus ›Love's Labour Lost‹, Ihre Symphonie Cosmologique. Sie begleiten am Flügel Ihre Lieder nach französischen und eng {584} lischen Dichtern, und alle Welt wird entzückt sein, daß ein Deutscher, ein Feind von gestern, diese Weitherzigkeit in der Wahl seiner Texte an den Tag legt, – ce cosmopolitism généreux et versatile! Meine Freundin, Mme. Maja de Strozzi-Pečič, eine Kroatin, heute vielleicht die schönste Sopranstimme beider Hemisphären, wird es sich zur Ehre rechnen, diese Sachen zu singen. Für den Instrumentalpart der Hymnen von Keats engagiere ich das Quartett Flonzaley von Genf oder das ›Pro Arte‹-Quartett von Brüssel. Das Beste vom Besten – sind Sie zufrieden?
    Was höre ich, Sie dirigieren nicht? Sie tun es nicht? Und auch Pianist wollen Sie nicht sein? Sie lehnen es ab, Ihre Lieder zu begleiten? Ich verstehe. Cher Maître, je vous comprends à demi mot! Es ist nicht Ihre Art, sich beim Vollendeten aufzuhalten. Für Sie ist die Ausführung eines Werkes seine Aufführung, es ist für Sie mit der Niederschrift abgetan. Sie spielen es nicht, Sie dirigieren es nicht, denn sogleich würden Sie es verändern, es in Varianten und Variationen auflösen, es weiter

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