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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Vorkämpfers avantgardistischer Kultur und, ich kann wohl sagen, eines Freundes großer Künstler gemacht habe. C'est la vérité pure, simple et irréfutable. Der Grund ist, daß ich von jungauf nach dem Höheren, dem Geistigen und Amüsanten gestrebt habe, – nach dem Neuen vor allen Dingen, das noch das Skandalöse ist, aber das ehren- und zukunftsvoll Skandalöse, das morgen das Höchstbezahlte, die große Mode, die Kunst sein wird. A qui le dis-je? Au commencement était le scandal.
    Gottlob, das miese Ljublin liegt weit dahinten! Seit mehr als zwanzig Jahren schon lebe ich in Paris, – was glauben Sie, ich habe dort sogar einmal ein ganzes Jahr lang an der Sorbonne philosophische Vorlesungen gehört. Aber à la longue langweilte mich das. Nicht als ob nicht auch die Philosophie skandalös sein könnte. O doch, sie kann es. Aber sie ist mir zu abstrakt. Und dann habe ich das dunkle Gefühl, daß man die Metaphysik lieber in Deutschland studieren sollte. Darin wird mein geehrtes vis-à-vis, der Herr Professor, mir vielleicht recht geben … Das Nächste war, daß ich ein ganz kleines, exklusives Boulevard-Theater leitete, un creux, une petite caverne für hundert Personen, nommé ›Théâtre des fourberies gracieuses‹. Ist das nicht ein bezaubernder Titel? Aber was wollen Sie, die Sache war ökonomisch nicht haltbar. Die wenigen Plätze mußten so teuer sein, daß wir gezwungen waren, sie alle zu verschenken. Wir waren anstößig genug, je vous assure, aber dabei zu high-brow, wie die Engländer sagen. Mit James Joyce, Picasso, Ezra Pound und der Duchesse de Clermont-Tonnère als Publikum allein kommt man nicht aus. En un mot, die Fourberies gracieuses mußten nach sehr kurzer Spielzeit wieder schließen, aber für mich war das Experiment nicht fruchtlos gewesen, denn es hatte mich immerhin mit den Spitzen des Pariser {581} Kunstlebens, Malern, Musikern, Dichtern, in Verbindung gebracht – in Paris, das darf ich selbst an dieser Stelle wohl sagen, schlägt gegenwärtig der Puls der lebendigen Welt, – es hatte mir auch, in meiner Eigenschaft als Direktor, den Zutritt zu mehreren aristokratischen Salons eröffnet, in denen diese Künstler verkehrten …
    Vielleicht werden Sie sich wundern. Vielleicht werden Sie sagen: ›Wie hat er das gemacht? Wie brachte der kleine Judenjunge aus der polnischen Provinz es fertig, sich in diesen wählerischen Zirkeln, unter der crème de la crème zu bewegen?‹ Ah, meine Herren, nichts leichter als das! Wie schnell lernt man es, sich eine Smoking-Schleife zu binden, wie schnell, mit vollendeter Nonchalance einen Salon zu betreten, selbst, wenn es ein paar Stufen hinuntergeht, und jeden Gedanken daran fernzuhalten, daß einem seine Arme die geringste Sorge machen könnten. Danach hat man nur immerfort ›Madame‹ zu sagen. ›Ah, Madame, Oh, Madame, Que pensez-
vous
, Madame, On me dit, Madame, que vous êtes fanatique de musique?‹ Das ist so gut wie alles. Man überschätzt diese Dinge von weitem ganz ungeheuer.
    Enfin, die Beziehungen, die ich den Fourberies verdankte, kamen mir zustatten und vervielfältigten sich noch, als ich dann mein Bureau zur Organisation von Aufführungen zeitgenössischer Musik eröffnete. Das Beste war: ich hatte mich selber gefunden, denn wie Sie mich da sehen, bin ich Impresario, bin es von Geblüt, bin es notwendiger Weise, – es ist meine Lust und mein Stolz, j'y trouve ma satisfaction et mes délices, das Talent, das Genie, die interessante Persönlichkeit herauszustellen, die Trommel dafür zu rühren, die Gesellschaft dafür zu begeistern, oder, wenn nicht zu begeistern, so doch zu erregen, – denn das ist alles, wonach sie verlangt, et nous nous rencontrons dans ce désir, – die Gesellschaft will aufgeregt, will herausgefordert, in pro und contra auseinander gesprengt sein, {582} für nichts ist sie so dankbar, wie für den amüsanten Tumult, qui fournit le sujet für Zeitungskarikaturen und unendliches Geschwätz, – der Weg zum Ruhm führt in Paris über die Verrufenheit, – eine rechte Première muß so verlaufen, daß mehrmals während des Abends alles von den Plätzen springt und die Majorität brüllt: ›Insulte! Impudence! Bouffonnerie ignominieuse!‹, während sechs, sieben initiés, Erik Satie, einige Surrealisten, Virgil Thomson, aus den Logen rufen: ›Quelle précision! Quel esprit! C'est divin! C'est suprême! Bravo! Bravo!‹
    Ich fürchte, Sie zu erschrecken, messieurs, – wenn nicht Maître Le

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