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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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»Andante amoroso« überschrieben und von einer ständig an der Grenze des Spottes gehaltenen Süße und Zärtlichkeit ist, einen Leitakkord, der für mein Ohr etwas Französisches hat: c-g-e-b-d-fis-a, ein Zusammenklang, der, mit dem hohen f der Geige darüber, wie man sieht, die tonischen Dreiklänge jener drei Haupt-Tonarten in sich enthält. In ihm hat man sozusagen die Seele des Werkes, man hat in ihm auch die Seele des Hauptthemas dieses Satzes, das im dritten, einer bunten Variationenfolge, wieder aufgenommen wird. Es ist ein in seiner Art wundervoller melodischer Wurf, eine rauschende, in großem Bogen sich hintragende, sinnbenehmende Kantilene, die entschieden etwas Etalagehaftes, Prunkendes hat, dazu eine Melancholie, der es an Gefälligkeit, nach dem Sinne des Spielers, nicht fehlt. Das Charakteristisch-Entzückende der Erfindung ist das unerwartete {594} und zart akzentuierte Sich-Übersteigern der auf einen gewissen Höhepunkt gelangten melodischen Linie um eine weitere Tonstufe, von der sie dann, mit höchstem Geschmack, vielleicht allzu viel Geschmack geführt, zurückflutend sich aussingt. Es ist eine der schon körperlich wirkenden, Haupt und Schultern hinnehmenden, das »Himmlische« streifenden Schönheitsmanifestationen, deren nur die Musik und sonst keine Kunst fähig ist. Und die Tutti-Verherrlichung eben dieses Themas im letzten Teil des Variationensatzes bringt den Ausbruch ins offene C-dur. Dem Eclat voran geht eine Art von kühnem Anlauf in dramatischem Parlando-Charakter, – eine deutliche Reminiszenz an das Rezitativ der Primgeige im letzten Satz von Beethovens A-moll-Quartett, – nur daß auf die großartige Phrase dort etwas Anderes folgt, als eine melodische Festivität, in der die Parodie des Hinreißenden ganz ernst gemeinte und darum irgendwie beschämend wirkende Leidenschaft wird.
    Ich weiß, daß Leverkühn, ehe er das Stück komponierte, die Violinbehandlung bei Bériot, Vieuxtemps und Wieniawski genau studiert hat, und in einer halb respektvollen, halb karikaturistischen Weise wendet er sie an, – übrigens unter solchen Zumutungen an die Technik des Spielers, besonders in dem äußerst ausgelassenen und virtuosen Mittelsatz, einem Scherzo, worin sich ein Zitat aus Tartinis Teufelstriller-Sonate findet, daß der gute Rudi sein Äußerstes aufzubieten hatte, um den Anforderungen gerecht zu werden: Der Schweiß perlte jedesmal, wenn er die Aufgabe durchgeführt, unter seinem lockig aufstrebenden Blondhaar, und das Weiße seiner hübschen zyanenblauen Augen war von rotem Geäder durchzogen. Aber wieviel Schadloshaltung, freilich, wieviel Gelegenheit zum »Flirt« in einem gesteigerten Sinn des Wortes war ihm gewährt in einem Werk, das ich in das Gesicht des Meisters hinein »die Apotheose der Salonmusik« genannt habe, im voraus gewiß, {595} daß er mir die Kennzeichnung nicht verübeln, sondern sie mit Lächeln aufnehmen werde.
    Ich kann an das hybride Erzeugnis nicht denken, ohne mich eines Gesprächs zu erinnern, dessen Schauplatz die Wohnung des Fabrikanten Bullinger in der Widenmayer-Straße zu München war: die Beletage des von ihm erbauten herrschaftlichen Mietshauses, unter deren Fenstern, in wohl reguliertem Bett, die Isar ihr unverdorbenes Bergwasserrauschen betrieb. Man hatte bei dem reichen Mann um 7 Uhr zu etwa fünfzehn Gedecken diniert: Er führte, mit Hilfe eines geschulten Personals und unter dem Vorsitz einer Hausdame von gezierten Sitten, die geheiratet zu werden wünschte, ein gastfreies Haus, und meist machten Leute der Finanz- und Geschäftswelt seine Gesellschaft aus. Aber man weiß ja, daß er es liebte, sich schwadronierend ins geistige Leben zu mischen, und so gab es in seinen komfortablen Räumen auch Abende, zu denen künstlerische und gelehrte Elemente sich zusammenfanden, – niemand, auch ich nicht, wie ich gestehe, sah einen Grund, die kulinarischen Annehmlichkeiten seiner Empfänge und den eleganten Rahmen zu verschmähen, den seine Salons für eine anregende Unterhaltung boten.
    Dieses Mal waren Jeanette Scheurl, Herr und Frau Knöterich, Schildknapp, Rudi Schwerdtfeger, Zink und Spengler, der Numismatiker Kranich, der Verleger Radbruch und Gattin, die Schauspielerin Zwitscher, die Lustspiel-Autorin aus der Bukowina, Binder-Majoresku mit Namen, dazu ich und meine liebe Frau zugegen; aber auch Adrian war gekommen: auf gutes Zureden, dessen außer mir auch Schildknapp und Schwerdtfeger sich befleißigt hatten. Ich untersuche nicht, wessen

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