Doktor Faustus
bemerke, ist alles, was zu meinen Gunsten spricht. In der Absicht, Sie zu ermutigen, ärgere ich Ihren Stolz und arbeite sehenden Auges gegen mich selbst. Denn ich sage mir natürlich, daß Ihresgleichen – aber ich sollte nicht von Ihresgleichen sprechen, sondern nur von Ihnen –, daß Sie also Ihre Existenz, Ihr destin als etwas zu Einmaliges betrachten und es zu heilig halten, um es mit anderen zusammen zu werfen. Sie wollen von den anderen {587} destinées nichts wissen, sondern nur von Ihrer eigenen, als etwas Einzigem – ich weiß, ich verstehe. Sie verabscheuen das Herabsetzende aller Generalisierung, Einreihung, Subsumierung. Sie bestehen auf der Unvergleichlichkeit des persönlichen Falles. Sie huldigen einem personalistischen Einsamkeitshochmut, der seine Notwendigkeit haben mag. ›Lebt man denn, wenn andre leben?‹ Ich habe die Frage irgendwo gelesen, ich bin nicht sicher, wo, es war bestimmt an sehr prominenter Stelle. Ausdrücklich oder im Stillen fragt ihr alle so, aus bloßer Höflichkeit und mehr zum Schein nehmt ihr voneinander Kenntnis, –
wenn
ihr Kenntnis nehmt voneinander. Wolf, Brahms und Bruckner lebten jahrelang in derselben Stadt, nämlich Wien, mieden sich aber wechselseitig die ganze Zeit, und keiner, soviel ich sehe, ist je dem andern begegnet. Es wäre ja auch pénible gewesen, bei ihren Urteilen übereinander. Urteile kritischer Kollegialität waren das nicht, sondern solche der Wegleugnung, des anéantissement, um allein zu sein. Brahms hielt von Bruckners Symphonien so wenig wie möglich; er nannte sie unförmliche Riesenschlangen. Umgekehrt war Bruckners Meinung von Brahms äußerst gering. Er fand das erste Thema des D-moll-Konzerts recht gut, stellte aber fest, daß Brahms nie wieder etwas annähernd Gleichwertiges erfunden habe. Ihr wollt nichts von einander wissen. Für Wolf bedeutete Brahms le dernier ennui. Und haben Sie je seine Kritik der Siebenten von Bruckner im Wiener ›Salonblatt‹ gelesen? Man hat da seine Meinung über die Bedeutung des Mannes überhaupt. Er warf ihm ›Mangel an Intelligenz‹ vor, – avec quelque raison, denn Bruckner war ja, was man ein einfaches, kindliches Gemüt nennt, versunken in seine majestätische Generalbaß-Musik und ein kompletter Idiot in allen Dingen europäischer Bildung. Stößt man aber auf gewisse briefliche Äußerungen von Wolf über Dostojewsky, qui sont simplement stupéfiants, so fragt man sich nach der Formung seines eigenen {588} Geistes. Den Text zu seiner nicht mehr vollendeten Oper ›Manuel Venegas‹, den ein gewisser Dr. Hörnes hergestellt hatte, nannte er ein Wunderwerk, shakespearisch, den Gipfel der Poesie, und wurde geschmacklos bissig, wenn Freunde ihre Zweifel ausdrückten. Nicht genug damit übrigens, daß er einen Hymnus für Männerchor: ›Dem Vaterland‹ komponierte, so wollte er ihn auch dem deutschen Kaiser widmen. Wie finden Sie das? Das Immediat-Gesuch wurde abgewiesen! Tout cela est un peu embarrassant, n'est-ce pas? Une confusion tragique.
Tragique, messieurs. Ich nenne es so, weil nach meiner Meinung das Unglück der Welt auf der Uneinheitlichkeit des Geistes, der Dummheit, der Verständnislosigkeit beruht, die seine Sphären von einander trennt. Wagner schmähte den malerischen Impressionismus seiner Zeit als Kleckserei, – streng konservativ, wie der Mann war, auf diesem Felde. Dabei haben seine eigenen harmonischen Ergebnisse doch eine Menge mit dem Impressionismus zu tun, führen zu ihm hin, gehen als Dissonanzen häufig schon über die impressionistischen hinaus. Gegen die Pariser Kleckser spielte er Tizian aus; der sei das Wahre. A la bonne heure. Aber in Wirklichkeit war sein Kunstgeschmack wohl eher etwas zwischen Piloty und Makart, dem Erfinder des dekorativen Bouquets, und Tizian, das war mehr Lenbachs Sache, der seinerseits von Wagner so viel verstand, daß er den ›Parsifal‹ ein Tingel-Tangel nannte – und zwar in des Meisters Gesicht hinein. Ah, ah, comme c'est mélancolique, tout ça!
Meine Herren, ich bin schrecklich abgekommen. Aber das will sagen: ich bin abgekommen von meinem Vorhaben. Nehmen Sie meine Plauderhaftigkeit als Ausdruck der Tatsache, daß ich auf den Plan verzichtet habe, der mich herführte! Ich habe mich davon überzeugt, daß er undurchführbar ist. Sie werden, Maître, meinen Zaubermantel nicht besteigen. Ich werde Sie nicht als Ihr manager in die Welt führen. Sie lehnen es {589} ab, und das sollte mir eine größere Enttäuschung sein, als es
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