Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Bitte den Ausschlag gegeben hatte und bilde mir keinesfalls ein, daß es die meine gewesen war. Da er mit Jeanetten zu Tische saß, deren Nähe ihm immer wohltätig war, und da auch sonst vertraute Gesichter ihn umgaben, so schien er seine Nachgie {596} bigkeit nicht zu bereuen, sondern sich während der drei Stunden seines Verweilens ganz wohl zu behagen, wobei ich wieder einmal mit stiller Heiterkeit beobachtete, mit welcher unwillkürlichen, rational bei den Wenigsten recht begründeten Zuvorkommenheit und mehr oder weniger scheuen Ehrerbietung man dem doch erst 39jährigen in Gesellschaft begegnete. Die Erscheinung, sage ich, erheiterte mich – und ergriff mein Herz auch wieder auf eine beklemmend-sorgenvollere Weise; denn der Grund für das Verhalten der Leute war ja die Atmosphäre unbeschreiblicher Fremdheit und Einsamkeit, die ihn in wachsendem Maß – in diesen Jahren immer fühlbarer und distanzierender – umgab, und die einem wohl das Gefühl geben konnte, als käme er aus einem Lande, wo sonst niemand lebt.
    Diesen Abend, wie gesagt, gab er sich recht bequem und gesprächig, woran ich Bullingers mit Angostura gewürztem Champagner-Cocktail und seinem wundervollen Pfälzer einiges Verdienst zuschreibe. Er unterhielt sich mit Spengler, dem es schon recht schlecht ging (sein Leiden hatte sich aufs Herz geworfen) und belachte, wie wir alle, die Clownereien Leo Zinks, der sich bei Tische, zurückgelehnt, mit seiner riesigen Damast-Serviette wie mit einem Bettlaken bis zu seiner grotesken Nase zudeckte und friedlich die Hände darüber faltete. Noch mehr erheiterte ihn die Fertigkeit des Spaßmachers, sich bei der Vorführung eines Stillebens von Bullinger, der in Öl dilettierte, um jedes Urteil zu drücken und ein solches auch uns anderen zu ersparen, indem er das gutgemeinte Stück Malerei mit tausend Jessas-Rufen, die das Verschiedenste bedeuten konnten, von allen Seiten betrachtete und es einmal sogar umdrehte. Übrigens war dieses Sich ergehen in erstaunten und zu nichts verpflichtenden Ausrufen auch die Technik des im Grunde nicht angenehmen Mannes, sich an Gesprächen zu beteiligen, die seinen Kunstmaler- und Karnevalisten- {597} Horizont überschritten, und eine Weile übte er sie sogar bei der einen ästhetisch-moralischen Fragenbezirk berührenden Unterhaltung, die ich im Sinne habe.
    Sie entspann sich im Anschluß an mechanisch-musikalische Darbietungen, mit denen der Hausherr uns nach dem Kaffee regalierte, während man fortfuhr, zu rauchen und Liqueur zu trinken. Damals hatte die Grammophon-Platte angefangen, eine sehr glückliche Entwicklung zu nehmen, und Bullinger ließ aus seinem kostbaren Schrank-Apparat mehreres Genußreiche erschallen: den wohlgespielten Walzer aus Gounods »Faust«, wie ich mich erinnere, zuerst, an dem Baptist Spengler nur auszusetzen hatte, daß er als Melodie eines Volkstanzes auf der Wiese entschieden zu elegant und salonmäßig sei. Man kam überein, daß dieser Stil viel besser passe im Falle der reizenden Ball-Musik in Berlioz' Phantastischer Symphonie und fragte nach dem Stück. Die Platte war nicht da. Dafür pfiff Schwerdtfeger die Melodie mit unfehlbaren Lippen, im Violin-Timbre, rein und vorzüglich, und lachte über den Applaus, indem er nach seiner Art die Schultern in den Kleidern rückte und einen Mundwinkel grimassierend nach unten zog. Zum Vergleich dann mit dem Französischen verlangte man nach dem Wiener Tonfall, nach Lanner und Johann Strauß dem Jüngeren, und unser Gastgeber spendete bereitwillig aus seinem Fundus, bis eine Dame – ich weiß noch genau, daß es Frau Radbruch, die Frau des Verlegers, war – zu bedenken gab, ob man mit all diesem leichtfertigen Zeug den unter uns anwesenden großen Komponisten nicht langweile. Sie fand besorgte Zustimmung, nach der Adrian sich erstaunt umhörte, da er die Frage nicht aufgefaßt hatte. Als man sie ihm wiederholte, protestierte er lebhaft. Um Gottes Willen, nein, das sei ein Mißverständnis. Niemand könne an diesen in ihrer Art meisterhaften Dingen mehr Vergnügen haben, als er.
    »Sie unterschätzen meine musikalische Erziehung«, sagte er. {598} »Ich hatte in zarter Jugend einen Lehrer« (und er blickte mit seinem schönen, feinen und tiefen Lächeln zu mir hinüber), »einen mit allem Klangwerk der Welt vollgepfropften und davon überquellenden Enthusiasten, der zu verliebt war in jeden, aber auch jeden organisierten Lärm, als daß man irgendwelche Hochnäsigkeit, irgendein

Weitere Kostenlose Bücher