Doktor Faustus
tatsächlich ist. Sincèrement, ich frage mich, ob es mir überhaupt eine ist. Nach Pfeiffering kommt man vielleicht zu einem praktischen Zweck, – aber dieser ist stets und notwendig von zweitrangiger Bedeutung. Man kommt, selbst wenn man ein Impresario ist, in erster Linie pour saluer un grand homme. Kein sachlicher Fehlschlag kann dies Vergnügen mindern, besonders nicht, wenn ein gut Teil positiver Genugtuung auf dem Grund der Enttäuschung liegt. So ist es, cher Maître, unter anderem bereitet Ihre Unzugänglichkeit mir auch Genugtuung, und zwar vermöge des Verständnisses, der Sympathie, die ich ihr unwillkürlich entgegenbringe. Ich tue es gegen mein Interesse, aber ich tue es, – als Mensch möchte ich sagen, wenn das nicht eine zu weite Kategorie wäre, ich sollte mich spezieller ausdrücken.
Sie wissen wohl gar nicht, maître, wie deutsch Ihre répugnance ist, die sich, wenn Sie mir erlauben, en psychologue zu sprechen, aus Hochmut und Inferioritätsgefühlen charakteristisch zusammensetzt, aus Verachtung und Furcht, – sie ist, möchte ich sagen, das ressentiment des Ernstes gegen den Salon der Welt. Nun, ich bin Jude, müssen Sie wissen, – Fitelberg, das ist ein eklatant jüdischer Name. Ich habe das Alte Testament im Leibe, und das ist eine nicht weniger ernsthafte Sache, als das Deutschtum – es schafft im Grunde geringe Disposition für die Sphäre der Valse brillante. Zwar ist es ein deutscher Aberglaube, daß es draußen nur Valse brillante gibt und Ernst nur in Deutschland. Und doch, man ist als Jude im Grunde skeptisch gesinnt gegen die Welt, zugunsten des Deutschtums, auf die Gefahr hin natürlich, Fußtritte einzuhandeln für seine Neigung. Deutsch, das heißt ja vor allem: volkstümlich – und wer glaubte einem Juden Volkstümlichkeit? Nicht nur, daß man sie ihm nicht glaubt, – man gibt ihm ein paar über den Schädel, wenn er die Zudringlichkeit hat, sich darin zu versuchen. Wir {590} Juden haben alles zu fürchten vom deutschen Charakter, qui est essentiellement anti-sémitique, – Grund genug für uns natürlich, uns zur Welt zu halten, der wir Unterhaltungen und Sensationen arrangieren, ohne daß das besagte, daß wir Windbeutel oder auf den Kopf gefallen sind. Wir wissen sehr wohl zwischen Gounods Faust und dem von Goethe zu unterscheiden, auch wenn wir französisch sprechen, auch dann …
Meine Herren, ich sage das alles nur aus Verzicht, wir haben geschäftlich ja ausgeredet, ich bin schon so gut wie fort, ich habe den Türgriff schon in der Hand, wir sind ja längst auf den Füßen, ich plaudere nur noch pour prendre congé. Gounods Faust, meine Herren, wer wollte die Nase darüber rümpfen? Ich nicht und Sie nicht, wie ich zu meinem Vergnügen sehe. Eine Perle – une marguérite, voll der entzückendsten musikalischen Erfindungen. Laisse-moi, laisse-moi contempler – bezaubernd! Auch Massenet ist bezaubernd, lui aussi. Besonders reizend muß er als Pädagog gewesen sein, – als Professor am Conservatoire, man kennt Geschichtchen darüber. Von Anfang an sollten seine Kompositionsschüler zu eigener Produktion angeregt werden, ganz gleich, ob ihr technisches Können ausreichte, einen fehlerlosen Satz zu schreiben. Human, nicht wahr? Deutsch ist es nicht, aber human. Ein Junge kam zu ihm mit einem frisch komponierten Lied, – frisch und von einiger Begabung zeugend. ›Tiens!‹ sagte Massenet. ›Das ist wirklich ganz nett. Höre, du hast doch gewiß eine liebe kleine Freundin. Spiel es der vor, es wird ihr gewiß gefallen, und das Weitere wird sich dann schon finden.‹ Es ist ungewiß, was unter dem ›Weiteren‹ zu verstehen ist, – alles Mögliche wahrscheinlich, die Liebe betreffend und die Kunst. Haben Sie Schüler, Maître? Die hätten es gewiß nicht so gut. Aber Sie haben gleich gar keine. Bruckner hatte welche. Er hatte selbst von frühan mit der Musik und ihren heiligen Schwierigkeiten gerungen, wie Jakob mit dem Engel, und eben das verlangte er von seinen Studen {591} ten. Jahrelang mußten die das heilige Handwerk, die Grundelemente der Harmonie und des strengen Satzes üben, bevor ihnen erlaubt war, ein Lied zu singen, und zu einer lieben kleinen Freundin hatte diese Musik-Pädagogik nicht die geringste Beziehung. Man ist ein einfaches, kindliches Gemüt, aber die Musik ist einem die geheimnisvolle Offenbarung höchster Erkenntnisse, ein Gottesdienst, und der musikalische Lehrberuf ein priesterliches Amt …
Comme c'est respectable! Pas
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