Doktor Faustus
Schönheit aufs tiefste ergriffen werden kann. Sogar der Frivolität hat er schon Huldigungen dargebracht. Philine ist doch am Ende nur ein Hürchen, aber Wilhelm Meister, der seinem Autor nicht gar fern steht, zollt ihr eine Achtung, mit der die Gemeinheit sinnlicher Unschuld offen geleugnet wird.«
»Die Betulichkeit und die Duldsamkeit gegen das Zweideutige«, erwiderte der Numismatiker, »sind nie als die vorbildlichsten Züge im Charakter unseres Olympiers angesehen worden. Im übrigen kann man wohl eine Gefahr für die Kultur darin sehen, wenn der Geist vor dem Gemein-Sinnlichen ein Auge zudrückt oder gar damit blinzelt.«
»Wir denken offenbar verschieden über die Gefahr.«
»Nennen Sie mich doch gleich einen Hasenfuß!«
»Bewahre Gott! Ein Ritter der Furcht und des Tadels ist kein Feigling, sondern eben ein Ritter. Alles, wofür
ich
eine Lanze {601} brechen möchte, ist eine gewisse Großzügigkeit in Dingen künstlerischer Moralität. Man gewährt sie, oder gönnt sie sich, wie mir scheint, in anderen Künsten bereitwilliger als in der Musik. Das mag recht ehrenvoll sein für diese, aber es verengt ihr bedenklich das Lebensfeld. Was bleibt von dem ganzen Kling-Klang denn übrig, wenn man den rigorosesten geistig-moralischen Maßstab anlegt? Ein paar reine Spektren von Bach. Es bleibt vielleicht überhaupt nichts Hörbares übrig.«
Der Diener kam mit Whisky, Bier und Sodawasser auf riesigem Teebrett.
»Wer wollte den Spielverderber machen«, sagte Kranich noch und wurde dafür von Bullinger mit schallendem Bravo! auf die Schulter geschlagen. Für mich, und wohl noch für einen und den anderen unter den Gästen, war der Wortwechsel ein rasch aufspringendes Duell zwischen gestrenger Mittelmäßigkeit und leidender Tieferfahrenheit im Geiste gewesen. Ich habe aber diese Gesellschaftsszene hier eingeschaltet – nicht nur, weil ich ihre Beziehungen zu dem Konzert-Stück, an dem Adrian damals arbeitete, so stark empfinde, sondern auch, weil sich mir gleich damals diejenigen aufdrängten zu der Person des jungen Mannes, auf dessen hartnäckiges Betreiben es geschrieben wurde, und für den es in mehr als einem Sinn einen Erfolg bedeutete.
Wahrscheinlich ist es mein Schicksal, nur steif und trocken-grüblerisch über das Phänomen im Allgemeinen sprechen zu können, das Adrian mir eines Tages als eine erstaunliche und immer etwas unnatürliche Alterierung des Verhältnisses von Ich und Nicht-Ich kennzeichnete – das Phänomen der Liebe. Hemmungen der Ehrfurcht vor dem Geheimnis überhaupt, und der persönlichen Ehrfurcht noch obendrein, kommen hinzu, mir den Mund zu verschließen oder doch mich wortkarg zu machen über die dämonisch umwitterte Abwandlung, die jene an und für sich halb wunderbare, der Abgeschlossen {602} heit des Einzelwesens widersprechende Erscheinung hier erfuhr. Immerhin will ich durchblicken lassen, daß eine spezifische Gewitztheit durch mein Altphilologentum es war – durch eine Eigenschaft also, die sonst eher danach angetan ist, gegen das Leben zu verdummen –, welche mich in den Stand setzte, hier überhaupt etwas zu sehen und zu begreifen.
Es kann kein Zweifel bestehen, und mit menschlicher Fassung will es berichtet sein, daß eine unermüdliche, durch nichts abzuschreckende Zutraulichkeit über sprödeste Einsamkeit schließlich den Sieg davongetragen hatte, – einen Sieg, der bei der polaren – ich betone das Wort: der polaren Verschiedenheit der Partner, dem geistigen Abstande zwischen ihnen, nur einen bestimmten Charakter haben konnte, und der, koboldhafter Weise, immer auch in diesem Sinn angestrebt worden war. Es ist mir vollkommen klar, daß für Schwerdtfegers Flirtnatur die Überwindung der Einsamkeit durch die Zutraulichkeit, bewußt oder unbewußt, von Anfang an diese besondere Meinung und Färbung gehabt hatte, – womit nicht gesagt ist, daß sie der edleren Motive ermangelte. Im Gegenteil: es war dem Werber ganz ernst, wenn er davon sprach, wie notwendig zur Ergänzung seiner Natur ihm Adrians Freundschaft sei, wie sie ihn fördere, hebe, bessere; nur daß er unlogisch genug war, zu ihrer Eroberung die angeborenen Mittel des Flirts spielen zu lassen – und sich dann gekränkt zu fühlen, wenn die schwermütige Neigung, die er erregte, die Merkmale erotischer Ironie nicht verleugnete.
Das Merkwürdigste und Ergreifendste für mich bei alldem war es, mit Augen zu sehen, wie der Eroberte nicht gewahr wurde, daß er behext worden war, sondern sich eine
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