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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Sich-für-zu-gut-halten in musikalischen Dingen von ihm hätte lernen können. Ein Mann, der sehr wohl Bescheid wußte im Hohen und Strengen. Aber für ihn war Musik – Musik, wenn es eben nur welche war, und gegen das Wort von Goethe: ›Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten‹ fand er einzuwenden, daß das Leichte auch schwer ist, wenn es gut ist, was es ebensowohl sein kann wie das Schwere. Davon ist etwas bei mir hängengeblieben, ich hab es von ihm. Allerdings habe ich ihn immer dahin verstanden, daß man sehr sattelfest sein muß im Schweren und Guten, um es so mit dem Leichten aufzunehmen.«
    Ein Schweigen ging durch das Zimmer. Im Grunde hatte er gesagt, daß er ganz allein das Recht habe, sich an den dargebotenen Gefälligkeiten zu freuen. Man versuchte, es nicht so zu verstehen, argwöhnte aber, daß er es gemeint hatte. Schildknapp und ich sahen uns an. Dr. Kranich machte »Hm«. Jeanette sagte leise: »Magnifique!« Leo Zink ließ sein dumm-überwältigtes, eigentlich hämisches »Jessas na!« vernehmen. »Echt Adrian Leverkühn!« rief Schwerdtfeger, rot im Gesicht von zahlreichen Vieilles Cures, aber nicht nur davon. Ich wußte, daß er sich heimlich gekränkt fühlte.
    »Sie haben nicht zufällig«, fuhr Adrian fort, »die Des-dur-Arie der Delila aus ›Samson‹ von Saint-Saëns in Ihrer Sammlung?« Die Frage war an Bullinger gerichtet, dem es die größte Genugtuung bereitete, zurückrufen zu können:
    »Ich? Die Arie nicht haben? Mein Lieber, Sie denken wohl dies und das von mir! Hier ist sie – und gar nicht ›zufällig‹, wie ich Sie versichern kann!«
    {599} Darauf Adrian:
    »Ah, gut. Es kommt mir in den Sinn, weil Kretzschmar – das war mein Lehrer, ein Organist, ein Fugenmensch, müssen Sie wissen – ein eigentümlich leidenschaftliches Verhältnis zu dem Stück, ein wahres faible dafür hatte. Nebenbei konnte er auch darüber lachen, aber das wollte nichts gegen seine Bewunderung sagen, die vielleicht nur dem Beispielhaften der Sache galt. Silentium.«
    Die Nadel griff an. Bullinger senkte den schweren Deckel darüber. Durch das Schallgitter strömte ein stolzer Mezzo-Sopran, der sich um gute Aussprache nicht viel kümmerte: Man verstand das »Mon cœur s'ouvre à ta voix« und dann kaum noch etwas, aber der Gesang, leider von einem etwas winselnden Orchester begleitet, war wundervoll in seiner Wärme, Zärtlichkeit, dunklen Glückesklage, wie die Melodie, die ja in beiden, gleichgebauten Strophen der Arie erst in der Mitte zu ihrem vollen Schönheitsgange ansetzt und ihn betörend vollendet, besonders das zweite Mal, wo die Geige, nun doch ganz klangvoll, die üppige Gesangslinie genußreich mitzieht und ihre Schlußfigur in wehmütig zartem Nachspiel repetiert.
    Man war ergriffen. Eine Dame tupfte sich mit dem gestickten Ausgeh-Tüchlein ein Auge. »Blödsinnig schön!« sagte Bullinger, einer unter Ästheten seit längerem beliebten und stehenden Redensart sich bedienend, die das schwärmerische Urteil »schön« derb-kennerhaft ernüchterte. Man konnte wohl sagen, daß sie hier ganz exakt und nach dem Wortsinn am Platze war, und das mochte es sein, was Adrian erheiterte.
    »Nun also!« rief er lachend. »Sie verstehen nun, daß ein ernster Mann imstande ist, die Nummer anzubeten. Geistige Schönheit ist das zwar nicht, sondern exemplarisch sinnliche. Aber vor dem Sinnlichen soll man sich am Ende weder fürchten noch schämen.«
    »Vielleicht doch«, ließ Dr. Kranich, der Direktor des Münz- {600} Kabinetts, sich vernehmen. Er sprach, wie immer, außerordentlich distinkt, fest, klar artikuliert und verständig, obgleich sein Atem dabei vor Asthma pfiff. »In der Kunst vielleicht doch. Auf diesem Gebiet darf oder soll man sich wohl in der Tat vor dem Nichts-als-Sinnlichen fürchten und sich seiner schämen, denn es ist das Gemeine, nach der Bestimmung des Dichters: ›Gemein ist alles, was nicht zum Geiste spricht und kein anderes als ein sinnliches Interesse erregt.‹«
    »Ein nobles Wort«, versetzte Adrian. »Man tut sehr gut, es eine Weile nachklingen zu lassen, bevor man das Geringste dagegen erinnert.«
    »Und was würden Sie erinnern?« wollte der Gelehrte wissen.
    Adrian hatte ein Achselzucken und eine Mundbewegung, die ungefähr ausdrückten: »Ich kann nichts für die Tatsachen«, bevor er sagte:
    »Der Idealismus läßt außer acht, daß der Geist durchaus nicht nur von Geistigem angesprochen wird, sondern von der animalischen Schwermut sinnlicher

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