Doktor Faustus
Opernsängern, dem Gastgeber-Paar und Schwerdtfeger um den Tisch mit dem kostbaren Sèvres-Service saßen und mit Erstaunen den alten Herrn Reiff eine Schale starken Kaffees nach der anderen leeren sahen, was er, mit schweizerisch gewichtigen Worten, auf ärztliches Anraten, zur Stärkung seines Herzens und um leichteren Einschlafens willen zu tun erklärte. Die drei Logier-Gäste zogen sich sogleich {610} nach Weggang der auswärtigen zurück. Mlle. Godeau wohnte für mehrere Tage noch mit ihrer Tante im Hotel Eden au Lac. Als Schwerdtfeger, der am nächsten Morgen mit Adrian nach München zurückkehren wollte, beim Abschied sehr lebhaft die Hoffnung ausdrückte, den Damen dort wieder zu begegnen, wartete Marie einen Augenblick, bis Adrian den Wunsch wiederholte, und stimmte dann freundlich zu.
***
Die ersten Wochen des Jahres 1925 waren vergangen, als ich im Blatte las, daß meines Freundes anziehende Züricher Tischdame in unserer Hauptstadt eingetroffen war, und daß sie – nicht zufällig, denn Adrian hatte mir gesagt, daß er ihr die Adresse empfohlen habe – mit ihrer Tante in derselben Schwabinger Pension, wo er nach seiner Rückkehr von Italien einige Tage gewohnt hatte, der »Pension Gisella« abgestiegen war. Das Schauspielhaus hatte, um das Interesse seines Publikums an der bevorstehenden Première zu steigern, die Nachricht lanciert, und gleich darauf wurde sie uns durch eine Einladung der Schlaginhaufens bestätigt, mit der bekannten Ausstattungskünstlerin bei ihnen den nächsten Samstagabend zu verbringen.
Die Spannung, mit der ich diesem Zusammensein entgegensah, kann ich nicht beschreiben. Erwartung, Neugier, Freude, Beklemmung mischten sich in meinem Gemüt zu tiefer Erregung. Warum? Nicht – oder nicht nur – weil Adrian nach seiner Rückkehr von jener Schweizer Kunstreise mir unter anderem von seiner Begegnung mit Marien erzählt und mir von ihrer Person eine Schilderung gegeben hatte, die, als gelassene Feststellung, die Ähnlichkeit ihrer Stimme mit der seiner Mutter einschloß, mich aber auch sonst sogleich hatte aufhorchen lassen. Gewiß war es kein enthusiastisches Portrait, das er mir lieferte, im Gegenteil waren seine Worte still und beiläufig, {611} seine Miene unbewegt dabei und abseits in den Raum blickend. Daß aber die Bekanntschaft Eindruck auf ihn gemacht hatte, erhellte schon daraus, daß ihm der Vor- und Zunamen des Mädchens geläufig war – ich sagte ja, daß er in größerer Gesellschaft selten den Namen dessen wußte, mit dem er sprach –, und über die bloße Erwähnung ging sein Bericht entschieden hinaus.
Es kam jedoch etwas anderes hinzu, was mir das Herz so eigentümlich, in Freude und Zweifel schlagen ließ. Bei meinem nächsten Besuch in Pfeiffering nämlich ließ Adrian Bemerkungen fallen, des Sinnes, vielleicht habe er nun die längste Zeit hier gehaust, Veränderungen in seinem äußeren Leben stünden möglicherweise bevor; mit der Einzelgängerei möchte es allenfalls bald ein Ende nehmen; er gehe mit der Absicht um, ihr ein Ende zu setzen, etc. – kurzum, Bemerkungen, die nicht anders zu deuten waren, als daß er vorhabe, sich zu verheiraten. Ich hatte den Mut, zu fragen, ob seine Andeutungen mit einem gesellschaftlichen Ungefähr zusammenhingen, das sein Aufenthalt in Zürich mit sich gebracht habe, und er antwortete:
»Wer kann dich hindern, deine Konjekturen zu machen? Übrigens ist dies enge Gezimmer gar nicht der rechte Schauplatz dafür. Wenn ich nicht irre, war es der Zionsberg daheim, auf dem du mir einst verwandte Eröffnungen gönntest. Wir hätten auf den Rohmbühel steigen sollen zu unserer Konversation.«
Man stelle sich meine Verblüffung vor!
»Lieber«, sagte ich, »das ist sensationell und ergreifend!«
Er riet mir, meinen Wallungen zu gebieten. Daß er vierzig werde, meinte er, sei am Ende Mahnung genug, den Anschluß nicht zu versäumen. Ich mochte nicht weiter fragen und würde ja sehen. Mir selbst verbarg ich nicht die Freude darüber, daß sein Vorhaben die Lösung aus der elbischen Bindung an Schwerdtfeger bedeutete, und gern wollte ich es als bewußtes {612} Mittel dazu verstehen. Wie der Geiger und Pfeifer seinerseits sich dazu verhalten werde, war eine Nebenfrage, die wenig Beunruhigendes hatte, da jener am Ziel seines knäbischen Ehrgeizes war und sein Konzert dahinhatte. Nach seinem Triumph dachte ich ihn mir bereit, im Leben Adrian Leverkühns wieder einen vernünftigeren Platz einzunehmen. Was mir im Kopfe
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