Doktor Faustus
Initiative zuschrieb, die doch ganz und gar dem anderen Teil gehörte; wie er voll phantastischen Staunens schien über ein freimütig nichtachtendes Eingehen und Entgegenkommen, dem doch eher der Name der Verführung gebührte. Ja, er sprach von dem {603}
Wunder
der Unbeirrbarkeit, Unverwirrbarkeit durch Melancholie und Gefühl, und ich habe wenig Zweifel, daß diese »Verwunderung« zurückging bis auf jenen schon fernen Abend, wo Schwerdtfeger in seinem Zimmer erschienen war, um ihn in die Gesellschaft zurückzubitten, die ohne ihn so langweilig sei. Und doch waren bei diesem sogenannten Wunder wirklich auch immer die wiederholt gerühmten edlen, künstlerisch freien und anständigen Charaktereigenschaften des armen Rudi im Spiele. Ein Brief ist vorhanden, den Adrian etwa um die Zeit jener Abendunterhaltung bei Bullinger an Schwerdtfeger schrieb, und den dieser selbstverständlich hätte vernichten sollen, den er aber, teils aus Pietät, teils gewiß auch als Trophäe, aufbewahrt hatte. Ich lehne es ab, daraus zu zitieren, sondern will ihn nur als ein menschliches Dokument bezeichnen, das wie das Entblößen einer Wunde wirkt, und in dessen schmerzlicher Unverhülltheit der Schreibende wohl gar ein großes Wagnis erblickte. Es war keines. Aber schön war doch die Art, wie sich erwies, daß es keines war. Sofort, eiligst, ohne jede quälende Verzögerung, erfolgte damals ein Besuch des Empfängers in Pfeiffering, eine Aussprache, die Versicherung ernstlichster Dankbarkeit – eine einfache, kühne und treuherzig-zarte Verhaltensweise offenbarte sich, eifrig darauf bedacht, jeder Beschämung vorzubeugen … Ich muß das loben, ich kann nicht umhin, es zu tun. Und mit einer Art von Billigung vermute ich, daß bei dieser Gelegenheit die Ausarbeitung und Zueignung des Violin-Konzerts beschlossen wurde.
Es führte Adrian nach Wien. Es führte ihn danach, zusammen mit Rudi Schwerdtfeger, auf das ungarische Gutsschloß. Als sie von dort zurückkehrten, erfreute Rudolf sich des Prärogativs, das bisher, von Kindheits wegen, ausschließlich mir gehört hatte: er und Adrian nannten einander Du.
{604} XXXIX
Armer Rudi! Kurz war der Triumph deiner kindischen Dämonie, denn sie hatte sich in dem Kraftfeld einer tieferen, verhängnisstärkeren verfangen, die sie schleunigst brach, verzehrte, zunichte machte. Unseliges »Du«! Weder kam es der blauäugigen Belanglosigkeit zu, die es für sich gewann, noch konnte derjenige, der sich dazu herbeiließ, umhin, die – mag sein – beglückende Erniedrigung zu rächen, die ihm damit geschehen war. Die Rache war unwillkürlich, prompt, kaltblickend und geheimnisvoll. Ich erzähle, ich erzähle.
In den letzten Tagen des Jahres 1924 fanden in Bern und Zürich Wiederholungen des erfolgreichen Violin-Konzerts statt, im Rahmen zweier Veranstaltungen des Schweizer »Kammer-Orchesters«, dessen Dirigent, Herr Paul Sacher, Schwerdtfeger unter sehr angenehmen Bedingungen dazu eingeladen hatte, nicht ohne den Wunsch auszudrücken, der Komponist möge den Aufführungen durch seine Gegenwart ein besonderes Ansehen geben. Adrian widerstrebte; aber Rudolf wußte zu bitten, und das junge »Du« hatte damals Kraft genug, dem, was da kommen sollte, den Weg zu bahnen.
Das Konzert, im Zentrum eines Programms stehend, das deutsche Klassik und Zeitgenössisch-Russisches einschloß, bewährte, dank der alles aufbietenden Hingabe des Solisten, in den beiden Städten, im Saal des Berner Konservatoriums und in der Tonhalle von Zürich, seine Eigenschaften, die geistigen und die kaptivierenden, aufs neue. Die Kritik vermerkte eine gewisse Uneinheitlichkeit des Stiles, ja des Niveaus, und auch das Publikum verhielt sich ein wenig spröder als das Wiener, bereitete aber doch nicht nur den Ausführenden lebhafte Ovationen, sondern bestand an beiden Abenden auch auf dem Erscheinen des Autors, der seinem Interpreten den Gefallen tat, Hand in Hand mit ihm wiederholt für den Beifall zu danken. {605} Dies zweimalig-einmalige Vorkommnis also, das persönliche Sich-preisgeben der Einsamkeit vor der Menge, habe ich versäumt. Ich war davon ausgeschlossen. Wer ihm das zweite Mal, in Zürich, beiwohnte und mir davon erzählte, war Jeanette Scheurl, die sich gerade in dieser Stadt aufhielt und mit Adrian auch in dem Privathause zusammentraf, dessen Logiergäste er und Schwerdtfeger waren.
Es war das in der Mythenstraße, nahe dem See gelegene Heim des Herrn und der Frau Reiff, eines reichen, kinderlosen und
Weitere Kostenlose Bücher