Doktor Faustus
kunstfreundlichen, schon betagten Ehepaars, das sich von jeher ein Vergnügen daraus machte, durchreisenden Künstlern von Rang ein gepflegtes Asyl zu bieten und sie gesellschaftlich zu unterhalten. Der Mann, ein von den Geschäften ausruhender ehemaliger Seiden-Industrieller und Schweizer von alt-demokratischem Schrot und Korn, hatte ein Glasauge, das seinen bärtigen Zügen eine gewisse Starrheit verlieh, – ein täuschender Eindruck, denn er war einem liberalen Frohsinn zugetan und liebte nichts mehr, als mit Damen des Theaters, Heroinen oder Soubretten, in seinem Salon zu scharmuzieren. Auch ließ er sich bei seinen Empfängen zuweilen nicht übel auf dem Cello hören, pianistisch begleitet von seiner Frau, die aus dem Reiche stammte und einst dem Gesang obgelegen hatte. Sie ermangelte seines Humors, stellte aber eine energisch-wirtliche Bürgerin vor, welche in dem Gefallen daran, den Ruhm zu beherbergen und den sorglosen Geist des Virtuosentums in ihren Räumen walten zu lassen, mit ihrem Gatten durchaus übereinstimmte. In ihrem Boudoir war ein ganzer Tisch mit den Widmungsphotographien europäischer Zelebritäten bedeckt, die sich der Reiffschen Gastlichkeit dankbar verschuldet nannten.
Das Paar hatte Schwerdtfegern zu sich gebeten, bevor noch sein Name in den Blättern erschienen war, denn als Mäzen mit offener Hand war der alte Industrielle über musikalisch Bevorstehendes früher unterrichtet als alle Welt; und sie hatten {606} ungesäumt die Einladung auf Adrian ausgedehnt, sobald ihnen sein Kommen bekannt geworden. Die Wohnung war weitläufig, sie bot reichlichen Gastraum, und tatsächlich fanden die von Bern Eintreffenden Jeanette Scheurl schon an Ort und Stelle vor, die, wie alljährlich einmal, gleich für ein paar Wochen dort freundschaftlich einsaß. Doch war nicht sie es, neben der, bei dem Souper, das nach dem Konzert einen kleinen Kreis Zugehöriger im Speisezimmer der Reiffs vereinigte, Adrian seinen Platz hatte.
Die Spitze hielt der Hausherr, der einem alkoholfreien Getränk aus wundervoll geschliffenem Glase zusprach und starren Angesichts mit der dramatischen Sopranistin des Stadttheaters an seiner Seite scherzte, einer machtvollen Frau, die sich im Lauf des Abends viel mit der geballten Faust auf den Busen schlug. Noch ein anderes Mitglied der Oper war da, der Helden-Bariton, Balte von Geburt, ein langer, dröhnend, aber intelligent redender Mann. Ferner, versteht sich, der Veranstalter des Konzert-Abends, Kapellmeister Sacher, dazu Dr. Andreae, ständiger Dirigent der Tonhalle, und der vortreffliche Musik-Referent der »Neuen Zürcher Zeitung«, Dr. Schuh, – alle diese mit ihren Damen. Am anderen Ende der Tafel saß rüstig Frau Reiff zwischen Adrian und Schwerdtfeger, die zu weiteren Nachbarinnen links und rechts ein junges, oder noch junges, und beruflich tätiges Mädchen, Mlle. Godeau, französische Schweizerin, und ihre Tante hatten, eine grundgutmütige, fast russisch anmutende alte Dame mit Schnurrbärtchen, die von Marie (dies der Vorname der Godeau) »ma tante« oder »Tante Isabeau« angeredet wurde und allem Anschein nach als Gesellschafterin, Wirtschafterin, Ehrendame mit der Nichte lebte.
Von dieser ein Bild zu geben, bin ich wohl berufen, da wenig später aus guten Gründen mein Auge lange in angelegentlicher Prüfung auf ihr ruhte. Wenn je das Wort »sympathisch« unentbehrlich gewesen ist zur Kennzeichnung einer Person, so bei {607} der Beschreibung dieses Frauenzimmers, das von Kopf zu Fuß in jedem Zuge, mit jedem Wort, jedem Lächeln, jeder Wesensäußerung den geruhig-unüberschwenglichen, ästhetisch-moralischen Sinn dieses Wortes erfüllte. Daß sie die schönsten schwarzen Augen von der Welt hatte, stelle ich voran, – schwarz wie Jett, wie Teer, wie reife Brombeeren, Augen, nicht gar groß, aber von offenem, in seiner Dunkelheit klarem und reinem Aufblick, unter Brauen, deren feine, ebenmäßige Zeichnung so wenig mit Kosmetik zu schaffen hatte, wie das mäßige Lebensrot der sanften Lippen. Es war nichts Künstliches, keine nachziehende, untermalende, färbende Aufmachung an dem Mädchen. Die natürlich-sachliche Annehmlichkeit, mit welcher etwa ihr dunkelbraunes, im Nacken schweres, die Ohren freilassendes Haar aus der Stirn und von den zarten Schläfen zurückgenommen war, gab auch ihren Händen das Gepräge, – verständig schönen, keineswegs sehr kleinen, aber schlanken und dünnknochigen Händen, an den Gelenken schlicht umspannt von den
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