Doktor Faustus
Ernstlich hatte ich mich schon gefragt, wie die Absichten, in die er mich eingeweiht, gefördert, die Dinge in Fluß gebracht werden sollten. Wenig ratsam war es mir vorgekommen, weitere Gelegenheiten zum Zusammensein mit dem Mädchen seiner Wahl dem guten Glück zu überlassen. Die Umstände boten diesem nicht gerade überreich {617} lichen Spielraum. Arrangierende Nachhilfe, Initiative war nötig, und hier war sie. War wirklich Schwerdtfeger ihr Urheber – oder schob Adrian sie ihm nur zu, aus Scham vor der Rolle des Verliebten, der, sehr entgegen seiner Natur und Lebensstimmung, plötzlich auf Geselligkeiten und Schlittenpartien sann? Tatsächlich erschien mir dies so sehr unter seiner Würde, daß ich wünschte, er hätte die Wahrheit gesagt, als er den Geiger für die Idee verantwortlich machte, – wobei ich aber auch wieder die Frage nicht ganz unterdrücken konnte, ob dieser elbische Platoniker eigentlich ein Interesse an dem Unternehmen hatte.
Gegenfragen? Ich hatte eigentlich nur eine: Warum nämlich Adrian, wenn er Marien wissen zu lassen wünschte, daß er danach trachtete, sie zu sehen, – warum er sich dann nicht direkt an sie wandte, sie anrief, sogar nach München fuhr, bei den Damen einsprach, seine Anregung vorbrachte. Ich wußte damals nicht, daß es sich hier um eine Tendenz, eine Idee, gewissermaßen um die Vorübung zu etwas Späterem handelte, um die Neigung, zu der Geliebten – so muß ich das Mädchen nennen – zu
schicken
, einen anderen das Wort bei ihr führen zu lassen.
Vorerst war ich es, dem er das Wort anvertraute, und bereitwillig entledigte ich mich meines Auftrags. Es war damals, daß ich Marien in dem weißen, über die kragenlose schottische Bluse gezogenen Arbeitskittel traf, der ihr so gut stand. Ich fand sie an ihrem Zeichenbrett, einer dicken, schräggestellten Holzplatte, an die eine elektrische Lampe geschraubt war, und von der sie sich zu meiner Begrüßung erhob. Wir saßen wohl zwanzig Minuten in dem kleinen Miet-Wohnzimmer der Damen beisammen. Beide zeigten sich entschieden empfänglich für die Aufmerksamkeit, die man ihnen erwies, und begrüßten lebhaft den Ausflugsplan, von dem ich nur sagte, ich hätte ihn nicht erfunden, – nachdem ich hatte einfließen lassen, daß ich auf dem Wege sei zu meinem Freunde Leverkühn. Sie meinten, {618} ohne solche ritterliche Führung hätten sie vielleicht nie etwas von der berühmten Umgebung Münchens, dem bayrischen Alpenland kennen gelernt. Tag und Stunde des Treffens, der Abfahrt wurden ausgemacht. Ich konnte Adrian befriedigende Meldung bringen und rapportierte genau, indem ich ein Lob der vorteilhaften Erscheinung Mariens im Arbeitskittel mit einflocht. Er dankte mir mit dem – soviel ich hörte – ohne Ironie gesprochenen Wort:
»Nun sieh, es hat doch sein Gutes, verlässige Freunde zu haben.«
Die Bahnlinie nach dem Passionsdorf, die zum größten Teil dieselbe ist, wie nach Garmisch-Partenkirchen, und erst zuletzt von ihr abzweigt, führt über Waldshut und Pfeiffering. Adrian wohnte halbwegs zum Ziel, und so waren nur wir anderen es, nur Schwerdtfeger, Schildknapp, die Pariser Gäste, meine Frau und ich, die sich am bestimmten Tage gegen 10 Uhr am Zuge im Münchener Hauptbahnhof zusammenfanden. Ohne den Freund, vorläufig, legten wir die erste Fahrtstunde durch das noch flache, gefrorene Land zurück. Sie wurde uns verkürzt durch ein Frühstück von belegten Broten und Tiroler Rotem, das meine Helene vorbereitet hatte, und bei dem Schildknapps humoristisch zur Schau gestellter Eifer, nicht zu kurz zu kommen, uns viel zu lachen gab. »Gebt Knappi«, sagte er (so nannte er anglisierend sich selbst und wurde auch allgemein so genannt) »gebt Knappi nicht knapp!« Seine natürliche, unverhohlene und spaßhaft unterstrichene Lust am Mitzehren war unwiderstehlich komisch. »A, schmeckst du prächtig!« ächzte er mit glitzernden Augen, ein Zungenbrot kauend. Und dabei waren seine Scherze ganz unverkennbar in erster Linie für Mlle. Godeau bestimmt, die ihm natürlich so gut gefiel wie uns allen. Sie nahm sich höchst vorteilhaft aus in dem olivfarbenen, mit schmalen braunen Pelzstreifen verbrämten Winterkostüm, das sie trug, und mit einer gewissen Folgsamkeit meines Gefühls – {619} einfach weil ich wußte, was an der Reihe war – entzückte ich mich wieder und wieder im Anschauen ihrer schwarzen Augen, diesem pechkohlenhaften und dabei heiteren Glanz in der Dunkelheit der Wimpern.
Als Adrian, von
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