Doktor Faustus
Manschetten einer weißen Seidenbluse. So war von glattem Kragen der Hals umschlossen, der schlank und wie eine Säule rund, in der Tat wie gemeißelt, daraus emporstieg, gekrönt von dem lieblich zugespitzten Oval des elfenbeinfarbenen Gesichts mit dem feinen und wohlgeformten, durch lebhaft geöffnete Nüstern auffallenden Näschen. Ihr nicht eben häufiges Lächeln, ihr noch selteneres Lachen, das immer eine gewisse rührende Anstrengung der wie durchsichtigen Schläfenpartie mit sich brachte, entblößte den Schmelz dicht und ebenmäßig gestellter Zähne.
Man wird es verstehen, daß ich mit Liebe und Fleiß die Erscheinung der Frau heraufzurufen suche, mit der Adrian kurze Zeit die Ehe einzugehen gedachte. In jener weißseidenen Gesellschaftsbluse, die die Dunkelheit ihres Typs wohl allerdings mit einer gewissen Bewußtheit hob, habe auch ich Marie zuerst gesehen, vorwiegend dann aber in einer ihr eher noch {608} bekömmlicheren einfachen Alltags- und Reisetracht aus dunkelschottischem Stoff mit Lackgürtel und Perlmutterknöpfen, – auch wohl in einem darüber gezogenen knielangen Arbeitskittel, den sie anlegte, wenn sie an ihrem Reißbrett mit Graphit- und Buntstiften hantierte. Denn sie war Zeichnerin – Adrian war schon im voraus durch Frau Reiff darüber informiert worden –, entwerfende Künstlerin, die für kleinere Pariser Opern- und Singspielbühnen, die »Gaîté Lyrique«, das alte »Théâtre du Trianon«, Figurinen, Kostüme, Szenenbilder erfand und ausarbeitete, die dann den Schneidern und Dekorationsmalern als Vorlage dienten. So beschäftigt, lebte die aus Nyon am Genfer See Gebürtige mit Tante Isabeau in den winzigen Räumen einer Wohnung der Ile de Paris. Der Ruf aber ihrer Tüchtigkeit, Erfindungsgabe, kostümgeschichtlichen Sachverständigkeit und ihres delikaten Geschmacks war im Wachsen, und nicht nur hatte ihr Aufenthalt in Zürich beruflichen Hintergrund, sondern sie erzählte ihrem Tischnachbarn zur Rechten auch, daß sie in einigen Wochen nach München kommen werde, dessen Schauspielhaus sie mit der Ausstattung einer modernen Stil-Komödie betrauen wolle.
Adrian teilte seine Aufmerksamkeit zwischen ihr und der Hausfrau, während ihm gegenüber der müde, aber glückliche Rudi mit »ma tante« schäkerte, die beim Lachen sehr leicht gutmütige Tränen vergoß und sich öfters gegen ihre Nichte vorbeugte, um ihr, nassen Angesichts und mit schluchzender Stimme, von den Redereien ihres Nachbarn etwas zu wiederholen, das sie ihrer Meinung nach unbedingt hören mußte. Marie nickte ihr dann freundlich zu, froh offenbar, daß sie sich so gut unterhielt, und ihre Augen verweilten mit einer gewissen dankbaren Anerkennung auf dem Spender dieser Heiterkeit, der es sich wohl angelegen sein ließ, das Bedürfnis der alten Dame nach Weitergabe seiner Scherze einmal mehr und nochmals zu erregen. Mit Adrian sprach die Godeau, seinen {609} Erkundigungen willfahrend, über ihre Pariser Tätigkeit, über junge Erzeugnisse des französischen Balletts und der Oper, die ihm nur zum Teil bekannt waren, Werke von Poulenc, Auric, Rieti. Man erwärmte sich im Austausch über Ravels »Daphnis und Chloe« und die »Jeux« von Debussy, über Scarlattis Musik zu den »Gut gelaunten Frauen« von Goldoni, Cimarosas »Heimliche Ehe« und »Die mangelnde Erziehung« von Chabrier. Zu einem und dem anderen dieser Stücke hatte Marie eine neue Ausstattung entworfen und machte einzelne szenische Lösungen durch skizzierende Bleistiftstriche auf ihrer Tischkarte klar. Saul Fitelberg kannte sie wohl, – aber gewiß! Hier war es, wo der Schmelz ihrer Zähne erglänzte, ein herzliches Lachen ihre Schläfen so lieblich bemühte. Ihr Deutsch war mühelos, mit leichtem, reizendem Fremdakzent; ihre Stimme von warmem, gewinnendem Timbre, eine Gesangsstimme, ein »Material« zweifellos, – um genau zu sein: sie war nach Lage und Farbe der Stimme Elsbeth Leverkühns nicht nur ähnlich, sondern man glaubte zuweilen wirklich, die Stimme von Adrians Mutter zu hören, wenn man ihr lauschte.
Eine Gesellschaft von immerhin fünfzehn Personen, wie diese, pflegt nach Auflösung der Tischordnung abweichende Gruppen zu bilden, die Berührungen zu variieren. Adrian wechselte nach dem Souper mit Marie Godeau kaum noch ein Wort. Die Herren Sacher, Andreae und Schuh, dazu Jeanette Scheurl hielten ihn länger in einer Unterhaltung über Züricher und Münchener musikalische Angelegenheiten fest, während die Pariser Damen mit den
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