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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Verbindung von Geburtsadel und Künstlertum, fast gänzlich fallen lassen müssen. An alte Zeiten erinnerte die Gegenwart irgend welcher ehemaliger Hofdamen, die mit Jeanette Scheurl französisch sprachen. Sonst sah man neben Sternen des Theaters diesen und jenen katholisch-volksparteilichen, ja auch einen namhaften sozialdemokratischen Parlamentarier und ein paar höhere und hohe Funktionäre des neuen Staates, unter denen sich immerhin noch Leute von Familie, wie ein von grundaus jovialer und zu allem bereiter Herr von Stengel, befanden, – aber auch schon gewisse, der »liberalistischen« Republik tatkräftig abholde Elemente, denen das Vorhaben, die deutsche Schmach zu rächen und das Bewußtsein, eine kommende Welt zu repräsentieren, in dreisten Zeichen an der Stirn geschrieben stand.
    Es ist nicht anders: Ein Beobachter hätte mich mehr mit Marie Godeau und ihrem guten Tantchen zusammen gesehen, als Adrian, der zweifellos ihretwegen gekommen war und sie auch gleich anfangs mit sichtlicher Freude wieder begrüßt hatte, dann aber sich ganz vorwiegend mit seiner lieben Jeanette {615} und dem sozialdemokratischen Abgeordneten unterhielt, der ein ernstlich bewanderter Bach-Verehrer war. Meine Konzentration wird man, ganz abgesehen von der Annehmlichkeit des Gegenstandes, begreiflich finden nach allem, was Adrian mir vertraut hatte. Rudi Schwerdtfeger war auch mit uns. Tante Isabeau war entzückt, ihn wiederzusehen. Wie in Zürich brachte er sie oft zum Lachen – und Marien zum Lächeln –, hinderte aber nicht ein gesetztes Gespräch, das sich um Pariser und Münchener künstlerische Vorgänge drehte, auch das Politisch-Europäische, die deutsch-französischen Beziehungen streifte, und an dem ganz zum Schluß, schon Abschied nehmend, Adrian sich im Stehen für einige Augenblicke beteiligte. Immer mußte er ja seinen Elf Uhr-Zug nach Waldshut erreichen, und seine Teilnahme an der Soirée hatte nur knappe anderthalb Stunden gedauert. Wir anderen blieben ein wenig länger.
    Dies war, wie gesagt, ein Samstagabend. Einige Tage später, am Donnerstag, hörte ich telephonisch von ihm.

XL
    Er rief mich in Freising an, um mich, wie er sagte, um einen Gefallen zu bitten. (Seine Stimme war gedämpft und etwas monoton, sie ließ auf Kopfschmerzen schließen.) Er habe das Gefühl, sagte er, daß man den Damen in der Pension Gisella ein wenig die Honneurs von München machen müsse. Es sei geplant, ihnen einen Ausflug in die Umgebung zu bieten, wozu das schöne Winterwetter ja einlade. Er erhebe keinen Anspruch auf die Autorschaft der Idee, sie sei von Schwerdtfeger ausgegangen. Aber er habe sie aufgegriffen und überlegt. Es komme Füssen in Betracht, mit Neu-Schwanstein. Besser aber sei vielleicht noch Oberammergau und eine Schlittenfahrt von dort nach Kloster Ettal, das er persönlich gern habe, über Schloß Linderhof, eine Kuriosität immerhin, besichtigenswert. Was ich meinte.
    {616} Ich hieß den Gedanken selbst und Ettal als Ausflugsziel gut und richtig.
    »Natürlich müßt ihr mitkommen«, sagte er, »du und deine Frau. Wir werden es an einem Sonnabend machen – soviel ich weiß, hast du Samstags keine Stunden zu geben dieses Semester – sagen wir also übermorgen in acht Tagen, falls wir nicht gar zu arges Tauwetter bekommen. Ich habe auch Schildknapp schon Bescheid gesagt. Er liebt dergleichen leidenschaftlich und will sich auf Skiern an den Schlitten binden.«
    Das alles fand ich vorzüglich.
    Er bitte mich nun, Folgendes zu verstehen, fuhr er fort. Der Plan sei, wie gesagt, ursprünglich von Schwerdtfeger ausgegangen, aber ich würde wohl Sinn für seinen, Adrians, Wunsch haben, daß man in der Pension Gisella nicht diesen Eindruck hätte. Er möchte nicht, daß Rudolf dort dazu auffordere, sondern lege einen gewissen Wert darauf, das selber zu tun, – wenn auch wieder nicht allzu direkt. Ob ich so gut sein wolle, die Sache für ihn einzufädeln, – nämlich so, daß ich vor meinem nächsten Besuch in Pfeiffering, übermorgen also, in der Stadt die Damen aufsuchte und ihnen, gewissermaßen als sein Bote, wenn auch nur andeutungsweise als solcher, die Einladung überbrächte.
    »Du könntest mich durch diesen Freundschaftsdienst jetzt sehr verpflichten«, schloß er mit sonderbarer Steifheit.
    Ich setzte zu Gegenfragen an, unterdrückte sie aber und versprach ihm einfach, nach seinem Wunsche zu tun, versichernd, daß ich mich für ihn und uns alle auf das Unternehmen freute. Das tat ich allerdings.

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