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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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herumging, war nur Adrians seltsame Art, von seiner Absicht zu sprechen, als hinge ihre Verwirklichung allein von seinem Willen ab, und als habe man sich um die Zustimmung des Mädchens gar nicht zu sorgen. Wie bereit war ich, ein Selbstbewußtsein zu bejahen, das nur wählen, nur das Wort seiner Wahl sprechen zu dürfen glaubte! Und doch war ein Zagen in meinem Herzen ob der Naivität dieses Glaubens, die mir selbst als ein Ausdruck der Einsamkeit und Fremdheit erscheinen wollte, die seine Aura bildeten und mich wider Willen zweifeln ließen, ob dieser Mann geschaffen sei, Frauenliebe auf sich zu ziehen. Wenn ich mir alles gestand, bezweifelte ich sogar, daß er selbst im Grunde an diese Möglichkeit glaubte und hatte gegen das Gefühl zu kämpfen, daß er es nur absichtlich so hinstellte, als sei sein Erfolg ihm selbstverständlich. Ob die Erwählte vorläufig auch nur eine Ahnung hatte von den Gedanken und Absichten, die er an ihre Person knüpfte, blieb im Dunkeln.
    Es blieb im Dunkeln für mich auch nach dem Gesellschaftsabend in der Brienner Straße, der mir die Bekanntschaft mit Marie Godeau brachte. Wie wohl sie mir gefiel, entnehme man der Beschreibung, die ich oben von ihr gab. Nicht nur die sanfte Nacht ihres Blickes, von der ich wußte, wie sensitiv Adrian darauf ansprach, ihr reizendes Lächeln, ihre musikalische Stimme nahmen mich für sie ein, sondern auch die freundliche und intelligente Gehaltenheit ihres Wesens, die alles Girrend-Weibchenhafte unter sich lassende Sachlichkeit, Bestimmtheit, ja Kurzangebundenheit der selbständig-werktätigen Frau. Sie mir als Adrians Lebensgefährtin zu denken, beglückte mich, {613} und wohl glaubte ich mich auf das Gefühl zu verstehen, das sie ihm einflößte. Trat nicht in ihr ihm die »Welt«, vor der seine Einsamkeit scheute, – auch was man in artistisch-musikalischer Hinsicht »die Welt«, das Außer-Deutsche, nennen mochte, – in ernstest-freundlicher Gestalt, Vertrauen erweckend, Ergänzung verheißend, zur Vereinigung ermutigend entgegen? Liebte er sie nicht aus seiner Oratorienwelt heraus von musikalischer Theologie und mathematischem Zahlenzauber? Es schuf mir hoffnungsvolle Erregung, die beiden Menschen vom selben Raum umschlossen zu sehen, obgleich ich sie nur vorübergehend in persönlicher Berührung sah. Als einmal die gesellschaftliche Fluktuation von ungefähr Marien, Adrian, mich und noch einen Vierten zu einer Gruppe zusammenfügte, entfernte ich mich fast sogleich, in der Hoffnung, daß auch der Vierte soviel Verstand haben werde, seiner Wege zu gehen.
    Der Abend bei Schlaginhaufens war kein Diner, sondern ein 9 Uhr-Empfang mit einem Erfrischungsbüffet in dem an den Säulensalon stoßenden Eßzimmer. Das gesellschaftliche Bild hatte sich seit dem Kriege wesentlich geändert. Kein Baron Riedesel trat länger hier für das »Graziöse« ein; längst war der Klavier spielende Reitersmann in der Versenkung der Geschichte verschwunden, und auch den Enkel Schillers, Herrn von Gleichen-Rußwurm, gab es nicht mehr, da ein mit närrischer Ingeniosität erdachter, aber mißglückter Betrugsversuch, dessen er überwiesen war, ihn aus der Welt verscheucht und ihn zum quasi-freiwilligen Arrestanten auf seinem niederbayrischen Gute gemacht hatte. Die Sache war fast nicht zu glauben. Der Baron hatte, angeblich, ein wohlverpacktes und sehr hoch, über seinen Wert, versichertes Schmuckstück zur Umarbeitung an einen auswärtigen Juwelier gesandt, – welcher, als das Paket bei ihm eintraf, nichts darin fand, als eine tote Maus. Diese Maus hatte untüchtiger Weise die Aufgabe nicht erfüllt, die der Absender ihr zugedacht hatte. Offenbar war die Idee {614} gewesen, daß der Nager sich durch die Hülle beißen und entkommen sollte, – die Illusion erzeugend, daß das Geschmeide durch das Gott weiß wie entstandene Loch gefallen und verlorengegangen sei, womit die Versicherungssumme fällig gewesen wäre. Statt dessen war das Tier verendet, ohne den Ausgang zu schaffen, der das Abhandenkommen des nie hineingelegten Colliers erklärt hätte, – und aufs lächerlichste sah der Erfinder des Schelmenstückes sich bloßgestellt. Möglicherweise hatte er es in einem kulturhistorischen Buche aufgepickt und war ein Opfer seiner Lektüre. Vielleicht aber auch trug ganz allgemein die moralische Verwirrung der Zeit an seiner verrückten Eingebung die Schuld.
    Jedenfalls hatte unsere Gastgeberin, die geborene von Plausig, manchen Verzicht leisten und ihr Ideal, die

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