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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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glaubte mir die Sympathie damit desto eher gewähren zu dürfen, da er ja offenbar nicht auf Schwäche deutete, sondern mit extremer Tatkraft und einem Wohlbefinden einherging, deren Unanfechtbarkeit der Freund mir nicht genug zu rühmen wußte. Er tat es in der etwas verlangsamten, zuweilen zögernden, zuweilen leicht monotonen Sprechweise, die ich neuerdings an ihm feststellte, und die ich gern als Zeichen produktiver Besonnenheit, der Selbstbeherrschung inmitten eines hinreißenden Trubels von Eingebungen auslegte. Die körperlichen Schikanen, deren Opfer er solange gewesen, diese Magenkatarrhe, Affektionen des Halses und qualvollen Migräneattacken, waren von ihm abgefallen, der Tag, die Arbeitsfreiheit waren ihm gewiß, er selbst erklärte seine Gesundheit für vollkommen, für triumphal, und die visionäre Energie, mit der er sich täglich wieder zum Werke erhob, war ihm auf eine Weise, die mich mit Stolz erfüllte und mich auch wieder vor Rückschlägen bangen ließ, an den Augen abzulesen, – Augen, die früher meist vom oberen Lide halb verhängt gewesen waren, deren Lidspalte sich nun aber weiter, fast übertrieben weit geöffnet hatte, so daß man über der Regenbogenhaut einen Streifen der weißen Augenhaut sah. Dies konnte etwas Drohendes haben, umso eher, als in dem so erweiterten Blick eine Art von Starrheit, oder soll ich sagen: von Stillstand zu bemerken war, an dessen Wesen ich lange herumriet, bis ich darauf kam, daß er auf dem Verharren der nicht völlig runden, etwas unregelmäßig in die Länge gezogenen Pupillen in immer derselben Größe beruhte, so, als seien sie unbeeinflußbar durch irgendwelche Wechsel der Beleuchtung.
    Ich spreche da von einer gewissermaßen geheimen und inneren Unbeweglichkeit, zu deren Wahrnehmung man ein sehr sorgsamer Beobachter sein mußte. Eine andere, viel auffallen {701} dere und äußerlichere Erscheinung stand zu ihr in Widerspruch, – auch der lieben Jeanette Scheurl war sie aufgefallen, und nach einem Besuch bei Adrian wies sie mich, unnötiger Weise, darauf hin. Es war dies die kürzlich angenommene Gewohnheit, in gewissen Augenblicken, beim Nachdenken etwa, die Augäpfel rasch hin und her – und zwar ziemlich weit nach beiden Seiten – zu bewegen, also, wie man sagt, die Augen zu »rollen«, wovon man sich denken konnte, daß es manche Leute erschrecken würde. Darum, wenn auch ich es leicht hatte – und mir ist, als hätte ich es leicht gehabt –, solche meinetwegen exzentrischen Merkmale auf das Werk zu schieben, unter dessen ungeheuerer Spannung er stand–, so war es mir insgeheim doch eine Erleichterung, daß außer mir kaum jemand ihn sah, – eben weil ich fürchtete, er könnte die Leute erschrecken. Wirklich schied nun jeder gesellschaftliche Besuch in der Stadt für ihn aus. Einladungen wurden durch seine getreue Wirtin telephonisch abgelehnt, oder sie blieben auch unbeantwortet. Selbst flüchtige Zweckfahrten nach München, zu Einkäufen, fielen dahin, und man konnte diejenigen, die er zur Besorgung von Spielzeug für das verstorbene Kind unternommen, die letzten nennen. Garderobestücke, die ihm früher gedient hatten, wenn er unter Menschen ging, an Abendpartien und öffentlichen Veranstaltungen teilnahm, hingen jetzt unbenutzt im Schrank, und seine Kleidung war die häuslich einfachste, – keineswegs der Schlafrock, den er nie, auch am Morgen nicht, gemocht hatte, außer, wenn er bei Nacht das Bett verließ und eine Stunde oder zwei im Stuhl verbrachte. Aber eine lose, flausartige Joppe, hoch geschlossen, so daß es keiner Krawatte dazu bedurfte, getragen zu irgend welcher ebenfalls weiten, ungebügelten, klein gewürfelten Hose, war um diese Zeit sein ständiger Anzug, in dem er auch die gewohnten und unentbehrlichen lungenweitenden Spaziergänge machte. Man hätte selbst von einer Vernachlässigung seines {702} Äußeren reden können, wenn ein solcher Eindruck nicht durch die natürliche, aus dem Geistigen stammende Distinktion seiner Erscheinung hintangehalten worden wäre.
    Für wen auch hätte er sich Zwang auferlegen sollen? Er sah Jeanette Scheurl, mit der er gewisse, von ihr beigebrachte Musiken des 17. Jahrhunderts durchging (ich denke an eine Ciaconne von Jacopo Melani, die eine Tristan-Stelle wörtlich vorwegnimmt), er sah von Zeit zu Zeit Rüdiger Schildknapp, den Gleichäugigen, mit dem er lachte, wobei ich mich nicht der wehmütig öden Betrachtung enthalten konnte, daß nun die gleichen Augen allein

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