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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ihren Lauf lassen müsse, in der Hoffnung, er möchte bald aus seinem Werk zu spielen beginnen und Töne geben statt Worte. Nie hatte ich stärker den Vorteil der Musik, die nichts und alles sagt, vor der Eindeutigkeit des Wortes empfunden, ja, die schützende Unverbindlichkeit der Kunst überhaupt, im Vergleich mit der bloßstellenden Krudheit des unübertragenen Geständnisses. Dieses aber zu unterbrechen, ging mir nicht nur gegen die Ehrfurcht, sondern es verlangte mich auch aus ganzer Seele, zu hören, mochten auch unter denen, die mit mir hörten, nur ganz wenige sein, die es wert waren. Haltet nur aus und hört, {721} sprach ich im Geist zu den anderen, da er euch nun einmal alle als seine Mitmenschen geladen hat!
    Nach einer Pause des Nachdenkens fing der Freund wieder an:
    »Glaubt nicht, liebe Brüder und Schwestern, daß ich zur Promission und Errichtung des Pakts eines Wegscheids im Walde und viel Zirkel und grobe Beschwörung bedurft hätte, da ja schon Sankt Thomas lehrt, daß es zum Abfall nicht Worte braucht, mit denen Anrufung stattfindet, sondern irgend eine Tat ist genug, auch ohne ausdrückliche Huldigung. Denn es war nur ein Schmetterling und eine bunte Butterfliege, Hetaera Esmeralda, die hatt es mir angetan durch Berührung, die Milchhexe, und folgte ihr nach in den dämmernden Laubschatten, den ihre durchsichtige Nacktheit liebt, und wo ich sie haschte, die im Flug einem windgeführten Blütenblatt gleicht, haschte sie und koste mit ihr, ihrer Warnung zum Trotz, so war es geschehen. Denn wie sie mirs angetan, so tat sie mirs an und vergab mir in der Liebe, – da war ich eingeweiht und die Versprechung geschlossen.«
    Ich zuckte zusammen, denn hier gab es eine Zwischenstimme aus dem Auditorium, – die des Dichters Daniel Zur Höhe in seinem Priesterkleide, der mit dem Fuße aufschlug und hämmernd urteilte:
    »Es ist schön. Es hat Schönheit. Recht wohl, recht wohl, man kann es sagen!«
    Einige zischten, und auch ich wandte mich mißbilligend gegen den Sprecher, da ich ihm doch heimlich dankbar war für seine Worte. Denn obgleich albern genug, rückten sie, was wir hörten, unter einen beruhigenden und anerkannten Gesichtswinkel, den ästhetischen nämlich, der, so unangebracht er war, und so sehr er mich ärgerte, doch auch mir selbst eine gewisse Erleichterung schuf. Denn mir war, als ginge ein getröstetes »Ach so!« durch die Gesellschaft, und eine Dame, Frau Verleger {722} Radbruch, fand sich durch Zur Höhes Worte zu dem Ausspruch ermutigt:
    »Man glaubt, Poesie zu hören.«
    Ach, man glaubte das nicht lange, die schönselige Auffassung, so bequem sie sich anbot, war nicht haltbar, dies hatte nichts zu tun mit Dichter Zur Höhes steilem Jux von Gehorsam, Gewalt, Blut und Plünderung der Welt, es war stiller und bleicher Ernst, war Bekenntnis und Wahrheit, die zu vernehmen ein Mensch in letzter Seelennot seine Mitmenschen zusammengerufen hatte, – eine Handlung unsinnigen Vertrauens allerdings; denn Mitmenschen sind nicht gemeint und gemacht, solcher Wahrheit anders zu begegnen, als mit kaltem Grauen und mit der Entscheidung, die sie sehr bald, als es nicht mehr anging, sie als Poesie zu betrachten, einhellig darüber aussprachen.
    Es hatte nicht den Anschein, als ob jene Einwürfe überhaupt zu unserem Gastgeber gedrungen wären. Sein Sinnen, wenn er pausierte, machte ihn offenbar unzugänglich für sie.
    »Merkt es nur«, nahm er seine Rede wieder auf, »sonders achtbare liebe Freunde, daß ihrs mit einem Gottverlassenen und Verzweifelten zu tun habt, dessen Leichnam nicht an geweihten Ort gehört, zu frommen abgestorbenen Christen, sondern auf den Schindwasen zu den Kadavern verreckten Viehes. Auf der Bahre, ich sag es euch zuvor, werdet ihr ihn immer finden auf dem Gesichte liegen, und ob ihr ihn fünfmal umdrehet, er wird doch wieder verkehrt liegen. Denn lange schon bevor ich mit dem giftigen Falter koste, war meine Seel in Hochmut und Stolz zu dem Satan unterwegs gewesen, und stund mein Datum dahin, daß ich nach ihm trachtete von Jugend auf, wie ihr ja wissen müßt, daß der Mensch zur Seligkeit oder zur Höllen geschaffen und vorbestimmt ist, und ich war zur Höllen geboren. Drum gab ich meiner Hoffart Zucker, daß ich theologiam studierte zu Hallen auf der Hohen Schul, {723} doch nicht von Gottes wegen, sondern von wegen des anderen, und war mein Gottesstudium heimlich schon des Bündnisses Anfang und der verkappte Zug zu Gott nicht, sondern zu ihm, dem großen

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