Doktor Faustus
jenem Samstag nachmittag mit Helenen nach München, wo wir den Waldshut-Garmischer Personenzug nahmen. Wir teilten das Coupé mit Schildknapp, Jeanette Scheurl und Kunigunde Rosenstiel. Über andere Wagen hin war die übrige Gesellschaft verteilt, ausgenommen nur das Ehepaar Schlaginhaufen, der schwäbelnde alte Rentner und die geborene von Plausig, die zusammen mit ihren Sängerfreunden die Fahrt in ihrem Auto machten. Dieses, schon vor uns eingetroffen, leistete bei der Ankunft in Pfeiffering gute Dienste, indem es zwischen der kleinen Station und Hof Schweigestill mehrmals hin und her fuhr und {714} die Gäste, die es nicht etwa vorzogen, zu Fuße zu gehen (das Wetter hielt sich, obgleich ein Gewitter leise grollend am Horizonte stand) gruppenweise dorthin brachte. Denn für Beförderung vom Bahnhof zum Hause war nicht gesorgt, – Frau Schweigestill, die Helene und ich in der Küche aufsuchten, wo sie mit Hilfe Clementines in aller Eile einen Imbiß für so viele, Kaffee, in Streifen geschnittene Butterbrote und kühlen Apfelsaft vorbereitete, erklärte uns, in nicht geringer Bestürzung, daß Adrian sie auf die Invasion mit keinem Wort vorbereitet habe.
Unterdessen wollte das wütende Gebell des alten Suso oder Kaschperl draußen, der kettenklirrend vor seiner Hütte herumsprang, kein Ende nehmen und beruhigte sich erst, als keine neuen Gäste mehr anlangten und alles sich im Nike-Saal versammelt hatte, dessen Sitzgelegenheiten Magd und Knecht durch Stühle vermehrten, die sie aus dem Familienwohnzimmer und sogar aus oberen Schlafzimmern hereinschleppten. Außer den schon genannten Personen erwähne ich von den Anwesenden aufs Geratewohl und nach dem Gedächtnis: den vermögenden Bullinger, den Maler Leo Zink, den weder Adrian noch ich eigentlich mochten, und den jener wohl mit dem verstorbenen Spengler zusammen eingeladen hatte, Helmut Institoris, nun eine Art von Witwer, den klar artikulierenden Dr. Kranich, Frau Binder-Majoresku, die Knöterichs, den hohlwangig scherzenden Portraitisten Nottebohm nebst Frau, die Institoris mitgebracht hatte. Hinzu kamen Sixtus Kridwiß und der Kreis seines Diskussionstisches, nämlich der Erdschichtenforscher Dr. Unruhe, die Professoren Vogler und Holzschuher, der Dichter Daniel Zur Höhe in schwarz geschlossenem Rock und zu meinem Ärger sogar der rabulistische Chaim Breisacher. Das fachlich musikalische Element war neben den Opernsängern durch Ferdinand Edschmid, den Dirigenten des Zapfenstößer-Orchesters, vertreten. Wer sich, zu meiner völligen {715} Überraschung, und wohl nicht nur zu meiner, ebenfalls eingefunden hatte, war Baron Gleichen-Rußwurm, der sich, so viel mir bekannt, seit der Geschichte mit der Maus zum allerersten Mal wieder mit seiner fülligen, aber eleganten Gemahlin, einer Österreicherin, gesellschaftlich blicken ließ. Es stellte sich heraus, daß Adrian ihm schon acht Tage im voraus eine Einladung auf sein Schloß gesandt hatte, und wahrscheinlich war der so sonderbar kompromittierte Schiller-Enkel der eigenartigen Gelegenheit zu sozialer Wiederanknüpfung recht froh gewesen.
Alle diese Leute nun, rund dreißig, wie ich sagte, stehen vorderhand in dem Bauernsaal erwartungsvoll umher, machen sich untereinander bekannt, tauschen Äußerungen der Neugier. Ich sehe Rüdiger Schildknapp in seinem ewigen mitgenommenen Sportkostüm, von Frauen umgeben, deren ja eine ganze Anzahl vorhanden war. Ich höre die wohllautend überherrschenden Stimmen der dramatischen Sänger, das asthmatisch-verstandesklare Sprechen Dr. Kranichs, das Schwadronieren Bullingers, die Versicherung Kridwißens, daß diese Zusammenkunft, und was sie verspreche, »scho' enorm wischtisch« sei und die Zustimmung Zur Höhes, der, mit dem Fußballen aufschlagend, sein fanatisches »Jawohl, jawohl, man kann es sagen!« daranfügt. Die Baronin Gleichen ging umher, Sympathie nachsuchend für das abstruse Mißgeschick, von dem ihr Gatte und sie betroffen worden. »Sie wissen doch, wir haben ja dieses ennui gehabt«, sagte sie da und dort. – Von Anfang an machte ich die Beobachtung, daß viele gar nicht bemerkten, daß Adrian längst im Zimmer war, und so sprachen, als ob sie ihn noch erwarteten, einfach weil sie ihn nicht erkannten. Er saß, mit dem Rücken gegen die Fenster, gekleidet wie immer jetzt, mitten im Saal an dem schweren ovalen Tisch, an dem wir einst mit jenem Saul Fitelberg gesessen. Aber mehrere der Gäste fragten mich, wer der Herr dort sei, und ließen {716} auf mein
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