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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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die Kunde von einer Katastrophe im Leben ihres Sohnes zu ihm herbei eilen werde, und wenn Beruhigung zu erwarten war, so schien es nicht mehr als menschlich, ihr den erschütternden, ja unerträglichen Anblick des von Anstaltspflege noch ungemilderten Zustandes ihres Kindes zu ersparen.
    Ihres Kindes! Denn das, und nichts anderes mehr, war Adrian Leverkühn wieder, als die alte Frau eines Tages – das Jahr ging gegen den Herbst – in Pfeiffering eintraf, um ihn mit sich in die thüringische Heimat, an die Stätten seiner Kindheit zurückzunehmen, zu denen sein äußerer Lebensrahmen längst schon in so seltsamer Entsprechung gestanden hatte: – ein hilfloses, unmündiges Kind, das dem stolzen Flug seiner Männlichkeit keine Erinnerung mehr, oder eine sehr dunkle, in seiner Tiefe verborgene und vergrabene, bewahrte, das wie einst an ihrer Schürze hing, und das sie, wie in frühen Tagen, warten, gängeln, berufen, ihm »Unartigkeiten« verweisen mußte, oder – durfte. Schauerlich Rührenderes und Kläglicheres ist nicht zu erdenken, als wenn ein von seinen Ursprüngen kühn und trotzig emanzipierter Geist, nachdem er einen schwindelnden Bogen über die Welt hin beschrieben, gebrochen, ins {733} Mütterliche zurückkehrt. Meine Überzeugung aber, die auf unmißverständlichen Eindrücken beruht, ist es, daß dieses, das Mütterliche, solche tragische Heimkehr bei allem Jammer nicht ohne Genugtuung, nicht ohne Zufriedenheit erfährt. Einer Mutter ist der Ikarusflug des Helden-Sohnes, das steile Mannesabenteuer des ihrer Hut Entwachsenen, im Grunde eine so sündliche wie unverständliche Verirrung, aus der sie auch immer das entfremdet-geistesstrenge »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen!« mit heimlicher Kränkung vernimmt, und den Gestürzten, Vernichteten, das »arme, liebe Kind«, nimmt sie, alles verzeihend, in ihren Schoß zurück, nicht anders meinend, als daß er besser getan hätte, sich nie daraus zu lösen.
    Ich habe Gründe zu glauben, daß in der Tiefe von Adrians geistiger Nacht ein Grauen vor dieser sanften Erniedrigung, ein instinktiver Unwille dagegen, als Rest seines Stolzes, lebendig war, bevor er sich, im trüben Genuß der Bequemlichkeit, die eine erschöpfte Seele doch auch wohl durch die geistige Abdankung gewinnt, darein ergab. Für diese triebhafte Empörung und den Drang zur Flucht vor der Mutter spricht, wenigstens zum Teil, der Selbstmordversuch, den er beging, als wir ihm zu verstehen gegeben hatten, Elsbeth Leverkühn sei von seiner Unpäßlichkeit benachrichtigt und befinde sich auf dem Wege zu ihm. Der Hergang war dieser:
    Nach dreimonatiger Behandlung in der von Hösslinschen Anstalt, wo ich den Freund nur selten und immer nur wenige Minuten sehen durfte, war ein Grad der Beruhigung – ich sage nicht: der Besserung, aber der Beruhigung erreicht, der dem Arzt die Zustimmung zu einer privaten Pflege in dem stillen Pfeiffering erlaubte. Auch finanzielle Gründe sprachen dafür. So nahm die gewohnte Umgebung den Kranken wieder auf. Er hatte dort anfangs die Überwachung durch den Wärter zu dulden, der ihn zurückgebracht. Sein Verhalten aber schien die {734} Zurückziehung auch dieser Aufsicht zu rechtfertigen, und seine Betreuung lag vorerst nun wieder ganz in den Händen der Hofleute, vornehmlich in denen Frau Schweigestills, die, seit Gereon ihr eine rüstige Schwiegertochter ins Haus geführt (während Clementine die Frau des Stationsvorstehers von Waldshut geworden war) nur noch auf dem Altenteil saß und Muße hatte, dem Mietwohner vieler Jahre, der ihr längst etwas wie ein höherer Sohn geworden war, ihre Menschlichkeit zu widmen. Er vertraute ihr wie sonst niemandem. Mit ihr Hand in Hand zu sitzen, in der Abtsstube oder im Garten hinter dem Haus, war ihm offenbar der befriedigendste Zustand. Ich fand ihn so, als ich ihn zum erstenmal in Pfeiffering wieder aufsuchte. Der Blick, den er bei meinem Hinzutreten auf mich richtete, hatte etwas Heißes und Irrendes und verhängte sich zu meinem Schmerze schnell in düsterem Unwillen. Er mochte den Begleiter seines wachen Daseins in mir erkennen, an das gemahnt zu werden er sich weigerte. Da auf ein behutsames Zureden der alten Frau, mir doch ein gutes Wort zur Antwort zu geben, sich seine Miene nur noch mehr, und zwar bedrohlich verfinsterte, blieb mir nichts übrig, als mich trauernd zurückzuziehen.
    Für die Abfassung des Briefes, der seine Mutter über die Vorgänge schonend ins Bild setzte, war nun jedoch der Augenblick

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