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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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weltlichen Behörde überstellt werden mit der Anheimgabe von Befragungsmitteln, die der Kirche nicht anstanden; und unter einigem Druck kam denn an den Tag, was man hatte erwarten müssen: daß die Vettel in der Tat eine Abrede mit dem Teufel hatte, der ihr in Gestalt eines bocksfüßigen Mönches erschienen war und sie beredet hatte, die göttlichen Personen und den christlichen Glauben mit gräulichen Schmähreden zu verleugnen, wogegen er sie mit Anweisungen zur Herstellung nicht nur jener Liebessalbe, sondern auch noch anderer Schand-Panazeen versehen hatte, darunter eines Fettes, mit dem bestrichen jedes Holz sich mit dem Adepten flugs in die Lüfte erhob. Die Umständlichkeiten, durch die der Böse seinen Pakt mit der Alten besiegelt hatte, kamen nur stückweise, unter wiederholtem Druck, zum Vorschein und waren haarsträubend.
    {161} Für die nur mittelbar Verführte hing alles nunmehr davon ab, wie weit ihr eigenes Seelenheil durch die Annahme und den Gebrauch des verworfenen Präparates in Mitleidenschaft gezogen war. Zum Unglück des Glöcknerskindes legte die Alte nieder, daß der Drache ihr aufgegeben hatte, recht viele Proselyten zu machen, denn für jedes Menschenkind, das sie ihm zuführe, indem sie es zum Gebrauch seiner Gaben verleite, wolle er sie gegen das ewige Feuer etwas fester machen, so daß sie nach fleißiger Zutreibe-Arbeit mit einem asbestenen Panzer gegen die Flammen der Hölle gewappnet sein werde. – Dies brach Bärbeln den Hals. Die Notwendigkeit, ihre Seele vor ewigem Verderben zu retten, sie durch Darangabe des Leibes den Klauen des Teufels zu entreißen, lag auf der Hand. Und da überdies, einreißender Verderbnis wegen, ein Exemplum zu statuieren bitter notwendig war, so wurden an benachbarten Pfählen auf öffentlichem Platze zwei Hexen eingeäschert, die alte und die junge. Heinz Klöpfgeißel, der Verzauberte, stand entblößten Hauptes und Gebete murmelnd in der Zuschauermenge. Die vom Rauche erstickten und heiser verfremdeten Schreie seiner Geliebten erschienen ihm als die Stimme des Dämons, der widerwillig krächzend aus ihr fuhr. Von stundan war die ihm angetane schnöde Beschränkung behoben, denn nicht sobald war seine Liebe verkohlt, als ihm die sündlich entwendete freie Verfügung über seine Männlichkeit zurückgegeben war. –
    Ich habe diese revoltierende Geschichte, so kennzeichnend für den Geist des Schleppfuß'schen Kollegs, niemals vergessen und mich niemals recht über sie beruhigen können. Es war damals unter uns, zwischen Adrian und mir sowohl, wie auch bei Diskussionen des »Winfried«-Zirkels vielfach davon die Rede; aber weder bei ihm, der sich in Bezug auf seine Lehrer und das von ihnen Vorgetragene immer zurückhaltend und schweigsam verhielt, noch bei seinen Fakultätsgenossen gelang {162} es mir, das Maß von Empörung aufzuregen, das meinem eigenen Ärger über die Anekdote und namentlich über Klöpfgeißel genug getan hätte. Noch heute fahre ich ihn in meinen Gedanken schnaubend an und nenne ihn in vollstem Wortsinne einen Mordsesel! Was mußte sich der Tölpel beklagen? Was mußte er das Ding mit anderen Frauen üben, da er die Eine hatte, die er liebte, so sehr offenbar, daß es ihn gegen andere kalt und »unvermögend« machte? Was hieß hier »Unvermögen«, wenn er bei der Einen das Vermögen der Liebe besaß? Die ist gewiß eine Art von edler Verwöhnung des Geschlechtlichen, und wenn es nicht natürlich ist, daß dieses die Betätigung ablehnt bei Absenz der Liebe, so ist es doch nichts weniger als unnatürlich, daß es das tut in Gegenwart und im Angesicht der Liebe. Allerdings hatte das Bärbel ihren Heinz fixiert und »beschränkt«, aber nicht durch das Teufelsarkanum, sondern durch ihren Liebreiz und durch den bannenden Willen, mit dem sie ihn hielt und ihn gegen andere Versuchungen feite. Daß dieser Schutz in seiner Kraft, seinem Einfluß auf die Natur des Burschen durch die Zaubersalbe und den Glauben des Mädchens daran psychologisch verstärkt wurde, bin ich bereit, zu akzeptieren, obgleich es mir viel richtiger und einfacher scheint, die Sache von seiner Seite aus zu betrachten und die wählerische Verfassung, in die ihn die Liebe versetzt, für die Gehemmtheit verantwortlich zu machen, an der er so törichten Anstoß nahm. Aber auch dieser Gesichtspunkt schließt ja die Anerkennung einer gewissen natürlichen Wunderkraft des Seelischen ein, seiner Fähigkeit, auf das Organisch-Körperliche bestimmend und verändernd

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