Doktor Faustus
was er hörte, zu wissen, was er aufnahm, kurz:
auf ihn acht zu haben
, – denn das erschien mir immer höchst notwendig, wenn auch zwecklos. Eine eigentümlich schmerzliche Bewußtseinsmischung, die ich da ausdrücke: von Dringlichkeit und Zwecklosigkeit. Ich war mir klar darüber, ein Leben vor mir zu haben, das man wohl überwachen, aber nicht ändern, nicht beeinflussen konnte, und mein Drang, ein unverwandtes Auge darauf zu haben, dem Freunde nicht von der Seite zu gehen, hatte viel von der Vorahnung, daß es mir eines Tages zur Aufgabe werden würde, von den Eindrücken seiner Jugend biographische Rechenschaft abzulegen. Denn soviel ist ja wohl klar, daß ich mich über die obigen Dinge nicht hauptsächlich deswegen verbreitet habe, um zu erklären, warum mir in Halle nicht sonderlich wohl war, sondern aus demselben Grunde, weshalb ich über Wendell Kretzschmars Kaisersascherner Vorträge so ausführlich war: nämlich weil mir daran liegt und liegen muß, den Leser zum Zeugen von Adrians geistigen Erfahrungen zu machen.
Aus demselben Grunde will ich ihn einladen, uns junge Musensöhne auf den gemeinsamen Wanderungen zu begleiten, die wir bei besserer Jahreszeit von Halle aus wohl unternahmen. Denn als Adrians Landsmann und Intimus, und weil ich ja, obgleich Nicht-Theolog, ein entschiedenes Interesse an der Gottesgelehrsamkeit zu bekunden schien, war ich ein freundlich aufgenommener Gast in der Corona der christlichen Verbindung »Winfried« und durfte mich wiederholt an diesen gruppenweise unternommenen, dem Genusse von Gottes grüner Schöpfung gewidmeten Landfahrten beteiligen.
Sie fanden öfter statt, als wir beide dabei mithielten; denn ich {166} brauche kaum zu sagen, daß Adrian kein sehr eifriger Vereinsbruder war und seine Mitgliedschaft mehr markierte, als daß er sie pünktlich ausgeübt hätte und darin aufgegangen wäre. Aus Höflichkeit und um seinen guten Willen zur Eingliederung zu beweisen, hatte er sich für die »Winfried« gewinnen lassen, blieb aber unter verschiedenen Vorwänden, meistens unter Berufung auf seine Migräne, mehr als ein um das andere Mal von den Zusammenkünften weg, die die Stelle der Kneipen vertraten, und war noch nach Jahr und Tag mit dem siebzig Köpfe zählenden Verbindungsvolk so wenig auf den frère et cochon-Fuß gekommen, daß selbst das brüderliche Du im Verkehr mit ihnen ihm deutlich unnatürlich war und er sich öfters dabei versprach. Trotzdem war er angesehen unter ihnen, und das Halloh, das ihm entgegenscholl, wenn er sich, man muß fast schon sagen: ausnahmsweise, zu einer Sitzung in dem verräucherten Separatzimmer von Mütze's Gastlokal einfand, enthielt zwar einigen Spott über seine Einzelgängerei, war dabei aber aufrichtig froh gemeint. Denn man schätzte seine Teilnahme an den theologisch-philosophischen Debatten, denen er, ohne sie etwa zu führen, durch seine Einwürfe oft eine interessante Wendung gab, besonders aber seine Musikalität, die sehr hilfreich war, da er die obligaten Rundgesänge volltöniger und animierender, als andere, die sich darin versuchten, am Klavier zu begleiten wußte und die Versammlung auch, aufgefordert dazu vom Ersten Chargierten, Baworinski, einem Langen, Brünetten, dessen Blick meist sanft von den Lidern bedeckt und dessen Mund wie zum Pfeifen zusammengezogen war, mit Solo-Vorträgen, einer Toccata von Bach, einem Satz Beethoven oder Schumann erfreute. Aber auch ungeheißen setzte er sich manches Mal an das dumpf klingende Piano des Vereinszimmers, das stark an das unzulängliche Instrument erinnerte, an dem Wendell Kretzschmar im Saal der »Gemeinnützigen« uns seine Belehrungen erteilt hatte, und vertiefte {167} sich in ein freies, experimentierendes Spiel, – namentlich vor Eröffnung der Sitzung, während man noch auf das Vollzählig-werden des Kreises wartete. Er hatte dabei eine mir unvergeßliche Art, hereinzukommen, flüchtig zu grüßen und, zuweilen ohne auch nur abgelegt zu haben, mit nachdenklich verzogener Miene gerade auf das Klavier zuzugehen, als sei dieses das eigentliche Ziel seines Weges hierher gewesen, und stark anschlagend, Übergangstöne mit hochgezogenen Brauen hervorhebend, Klangverbindungen, Vorbereitungen und Auflösungen zu versuchen, die er unterwegs erwogen haben mochte. Es hatte aber dieses Losgehen auf das Klavier auch etwas nach Halt und Unterkunft Verlangendes, als ängstigten ihn der Raum und die ihn belebten, und als suche er Zuflucht dort, bei sich selbst also eigentlich,
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