Doktor Faustus
einzuwirken, – und diese sozusagen magische Seite der Sache war es denn selbstverständlich auch, die Schleppfuß bei seinen Kommentaren zum Falle Klöpfgeißel geflissentlich hervorhob.
Er tat es in einem quasi-humanistischen Sinn, um die hohe Idee herauszustreichen, die jene angeblich finsteren Jahrhun {163} derte von der erlesenen Kondition des menschlichen Leibes gehegt hätten. Für edler hätten sie ihn erachtet, als alle anderen irdischen Stoffverbindungen, und in seiner Wandelbarkeit durch das Seelische hätten sie den Ausdruck seiner Vornehmheit, seines hohen Ranges in der Körper-Hierarchie erblickt. Er erkaltete und erhitzte sich vermöge der Furcht und des Zornes, er magerte ab vor Gram, erblühte vor Freude, bloßer Gedankenekel konnte die physiologische Wirkung verdorbener Speise hervorbringen, der Anblick eines Tellers mit Erdbeeren die Haut des Allergikers mit Pusteln bedecken, ja Krankheit und Tod konnten die Folge rein seelischer Einwirkungen sein. Von der Einsicht jedoch in das Vermögen der Seele, die eigene, ihr zugehörige Körpermaterie zu verändern, war es nur ein Schritt, und ein notwendiger, zu der durch reiche Erfahrungen der Menschheit gestützten Überzeugung, daß auch eine fremde Seele, wissentlich-willentlich, also durch Zauber, die fremde Körpersubstanz zu alterieren vermöge; mit anderen Worten: Die Realität der Magie, des dämonischen Einflusses und der Verhexung war damit erhärtet, und dem Bereich des sogenannten Aberglaubens entrissen waren Erscheinungen wie etwa die des bösen Blicks, ein Erfahrungskomplex, konzentriert in der Sage vom tötenden Auge des Basilisken. Sträfliche Inhumanität wäre es gewesen, zu leugnen, daß eine unreine Seele durch den bloßen Blick, sei es willentlich oder auch unwillkürlich, körperlich schädigende Wirkungen an anderen hervorbringen könne, an kleinen Kindern zumal, deren zarte Substanz für das Gift eines solchen Auges besonders anfällig war.
So Schleppfuß in seinem exklusiven Kolleg, – exklusiv durch Geist und Bedenklichkeit. »Bedenklich« ist ein vortreffliches Wort; ich habe ihm immer viel philologische Schätzung entgegengebracht. Es fordert zugleich zum Eingehen und zum Vermeiden auf, jedenfalls also zu einem sehr vorsichtigen Eingehen, und steht im Doppellicht des Bedenkenswerten und der Anrüchigkeit einer Sache – und eines Menschen.
{164} Wir legten in unseren Gruß, wenn wir Schleppfußen auf der Straße oder auf den Korridoren der Universität begegneten, die ganze Achtung, welche das hohe intellektuelle Niveau seiner Vorlesung uns Stunde für Stunde einflößte, aber noch tiefer, als wir, zog er dagegen den Hut und sagte: »Ihr ganz ergebener Diener!«
XIV
Zahlenmystik ist nicht meine Sache, und immer nur mit Beklemmung habe ich diese Neigung an Adrian, bei dem sie sich von jeher still aber deutlich hervortat, wahrgenommen. Daß aber auf das vorige Kapitel gerade die allgemein mit Scheu betrachtete und für unheilvoll geltende Ziffer 13 gefallen ist, hat denn doch meinen unwillkürlichen Beifall, und fast bin ich versucht, es für mehr als Zufall zu halten. Um einen Zufall allerdings handelt es sich, vernünftig gesprochen, dennoch, und zwar weil im Grunde dieser ganze Komplex von Hallenser Universitätserfahrungen, so gut wie weiter oben die Vorträge Kretzschmars, eine natürliche Einheit bildet, und weil ich nur aus Rücksicht auf den Leser, welcher immer nach Ruhepunkten, Zäsuren und Neubeginn ausschaut, in mehrere Kapitel aufgeteilt habe, was nach meiner, des Schriftstellers, wahrer Gewissensmeinung auf solche Gliederung gar keinen Anspruch hat. Ginge es also nach mir, so befänden wir uns immer noch im Kapitel XI, und nur meine Neigung zum Zugeständnis hat dem Doktor Schleppfuß die Ziffer XIII verschafft. Ich gönne sie ihm, – ja, mehr noch, ich hätte dieser ganzen Erinnerungsmasse an unsere Hallenser Studienjahre die Ziffer XIII gegönnt, denn ich sagte ja gleich, daß mir die Luft dieser Stadt, die theologische Luft, nicht wohltat, und daß meine hospitierende Teilnahme an Adrians Studium ein Opfer war, das ich, unter mancherlei Mißgefühlen, unserer Freundschaft brachte.
Unserer? Ich sage besser: der meinen; denn
er
bestand ja {165} durchaus nicht darauf, daß ich mich neben ihm hielt, wenn er Kumpf oder Schleppfuß hörte, ja, daß ich darüber wohl gar Vorlesungen meines eigenen Programms versäumte. Ich tat es aus vollkommen freien Stücken, nur aus dem unabweislichen Wunsche, zu hören,
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