Doktor Faustus
vor einer verwirrenden Fremde, in die er geraten.
Spielte er dann fort, einem fixen Gedanken nachhängend, ihn wandelnd und lose formend, so fragte wohl einer von denen, die ihn umstanden, der kleine Probst, vom Kandidatentyp, blond, mit halblangem öligem Haar:
»Was ist das?«
»Nichts«, antwortete der Spielende mit kurzem Kopfschütteln, das mehr der Bewegung glich, mit der man eine Fliege abwehrt.
»Wie kann es nichts sein«, fragte jener zurück, »da du es ja spielst?«
»Er phantasiert«, erläuterte der lange Baworinski verständig.
»Er phantasiert?!« rief Probst aufrichtig erschrocken und spähte mit seinen wasserblauen Augen von der Seite nach Adrians Stirn, als ob er erwartete, sie in Fieberhitze glühen zu finden.
Alles brach in Lachen aus; auch Adrian tat es, indem er die geschlossenen Hände auf der Klaviatur liegen ließ und den Kopf darüber beugte.
{168} »O Probst, was für ein Schaf bist du!« sagte Baworinski. »Er improvisierte da, verstehst du das nicht? Er hat sich das momentan so ausgedacht.«
»Wie kann er sich soviele Töne rechts und links auf einmal ausdenken«, verteidigte sich Probst, »und wie kann er sagen, es ist nichts, von etwas, was er doch spielt? Man kann doch nicht spielen, was es nicht gibt?«
»O doch«, sagte Baworinski sanft. »Man kann auch spielen, was noch nicht existiert.«
Und ich habe es noch im Ohr, wie ein gewisser Deutschlin, Konrad Deutschlin, ein Stämmiger, mit Stirnsträhne, hinzufügte:
»Es ist alles einmal nichts gewesen, guter Probst, was dann etwas geworden ist.«
»Ich kann Sie … ich kann euch versichern«, sagte Adrian, »daß es wirklich nichts war, in jedem Sinn.«
Er mußte sich nun aufrichten aus seiner vom Lachen gebeugten Haltung, wobei man seinem Gesicht ansah, daß es ihm nicht leicht wurde und er sich bloßgestellt fühlte. Ich erinnere mich aber, daß eine längere, und keineswegs uninteressante, hauptsächlich von Deutschlin geführte Diskussion über das Creative sich daran schloß, wobei die Einschränkungen erörtert wurden, die dieser Begriff durch vielerlei Vorgegebenes, durch Kultur, Überlieferung, Nachfolge, Konvention, Schablone zu erdulden hat, nicht ohne daß das Menschlich-Schöpferische denn endlich doch als ein ferner Abglanz göttlicher Seinsgewalt, als ein Widerhall des allmächtigen Werderufs, und die produktive Eingebung allerdings als von oben kommend theologisch anerkannt wurde. –
Übrigens, und völlig nebenbei gesagt, war es mir angenehm, daß auch ich, der Zugelassene von profaner Fakultät, durch mein Viola d'amore-Spiel gelegentlich, wenn man mich dazu aufforderte, zur Unterhaltung beitragen konnte. Die Musik {169} nämlich galt viel in diesem Kreise, wenn auch nur auf eine gewisse, zugleich prinzipielle und verschwommene Weise: man sah eine Gotteskunst in ihr und hatte »ein Verhältnis« zu ihr zu haben, ein romantisch-andächtiges, wie zur Natur, – Musik, Natur und fröhliche Andacht, das waren nahe verwandte und vorschriftsmäßige Ideen im Winfried-Verein, und wenn ich von »Musensöhnen« sprach, so findet dies Wort, das manchem vielleicht auf Theologie-Studenten nicht passen zu wollen scheint, eben doch seine Rechtfertigung in dieser Gesinnungskombination, in dem Geiste frommer Ungebundenheit und helläugiger Anschauung des Schönen, von dem auch jene Naturfahrten, auf die ich nun zurückkomme, bestimmt waren.
Zwei oder dreimal im Lauf unserer vier Hallenser Semester wurden sie in corpore unternommen, so nämlich, daß Baworinski alle siebzig Mann dazu aufrief. An diesen Massen-Unternehmungen haben Adrian und ich uns nie beteiligt. Aber auch einzelne, unter einander vertrautere Gruppen schlossen sich zu solchen Wanderungen zusammen, und so, im Verein mit ein paar besseren Gesellen, machten wir beide uns wiederholt dazu auf. Es waren der Erste Chargierte selbst, ferner der stämmige Deutschlin, dann ein gewisser Dungersheim, ein Carl von Teutleben, und noch ein paar junge Leute, die Hubmeyer, Matthäus Arzt und Schappeler hießen. An diese Namen erinnere ich mich und ungefähr auch an die Physiognomien ihrer Träger, die hier zu beschreiben sich aber erübrigt.
Die nächste Umgebung von Halle, eine sandige Ebene, ist als landschaftlich reizlos preiszugeben, aber in wenig Stunden trägt einen der Zug saaleaufwärts ins liebliche Thüringerland, und dort, meist schon in Naumburg oder Apolda (der Geburtsgegend von Adrians Mutter), verließen wir die Eisenbahn und setzten die Reise mit
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