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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Das Gute und Schöne wäre dann entwest zu einem qualitätslosen Sein, das dem Nichtsein sehr ähnlich und diesem vielleicht nicht vorzuziehen sei.
    Wir schrieben das in unsere Wachstuchhefte, damit wir es mehr oder weniger getrost nach Hause trügen. Die wahre Rechtfertigung Gottes in Ansehung des Schöpfungsjammers, so fügten wir nach Schleppfußens Diktat hinzu, bestehe in seinem Vermögen, aus dem Bösen das Gute hervorzubringen. Diese Eigenschaft verlange, zu Gottes Ruhm, durchaus nach Betätigung, und sie könnte sich nicht offenbaren, wenn Gott {154} nicht die Kreatur der Sünde übermacht hätte. In diesem Fall wäre dem Universum jenes Gute vorenthalten worden, das Gott aus dem Bösen, aus Sünde, Leiden und Laster zu schaffen wisse, und weniger Anlaß also hätten die Engel zum Lobgesange gehabt. Nun entstehe freilich auch, umgekehrt, wie die Geschichte fortwährend lehre, aus Gutem viel Böses, so daß Gott, um dieses zu vermeiden, auch das Gute verhindern müßte und überhaupt die Welt nicht sein lassen dürfte. Dies hätte jedoch seinem Wesen als Schöpfer widersprochen, und darum habe er die Welt, wie sie sei, nämlich mit Übel durchsetzt, erschaffen, d.h. sie zum Teil dämonischen Einflüssen überlassen müssen.
    Niemals wurde ganz klar, ob es eigentlich Schleppfußens eigene Lehrmeinungen waren, die er uns vortrug, oder ob es ihm nur darum ging, uns mit der Psychologie der klassischen Jahrhunderte des Glaubens vertraut zu machen. Gewiß hätte er nicht Theolog sein dürfen, um sich nicht zu dieser Psychologie bis zum Einklange sympathisch zu verhalten. Der Grund aber, weshalb ich mich wunderte, daß nicht mehr junge Leute von seiner Vorlesung angezogen wurden, war der, daß, wann nur immer von der Macht der Dämonen über das Menschenleben darin die Rede war, das Geschlechtliche eine hervorstechende Rolle spielte. Wie hätte es auch anders sein können? Der dämonische Charakter dieser Sphäre war ein Hauptzubehör der »klassischen Psychologie«; für sie bildete dieses Gebiet den Vorzugstummelplatz der Dämonen, den gegebenen Ansatzpunkt für Gottes Gegenspieler, den Feind und Verderber. Denn größere Hexenmacht hatte ihm Gott zugestanden über den Beischlaf, als sonst über jede menschliche Handlung: nicht nur wegen der äußeren Unflätigkeit dieser Verübung, sondern vor allem, weil die Verderbtheit des ersten Vaters als Erbsünde dabei auf das ganze Menschengeschlecht übergegangen war. Der Zeugungsakt, gekennzeichnet durch ästhetische Scheuß {155} lichkeit, war Ausdruck und Vehikel der Erbsünde, – was Wunder, daß dem Teufel besonders viel freie Hand dabei gelassen war? Nicht umsonst hatte der Engel zu Tobias gesagt: »Über die, welche der Lust ergeben sind, gewinnt der Dämon Gewalt.« Denn die Macht der Dämonen lag in den Lenden des Menschen, und diese waren gemeint, dort, wo der Evangelist sagte: »Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewacht, so bleibt das Seine in Frieden.« Das war selbstverständlich geschlechtlich zu deuten; geheimnisvollen Worten war immer solche Bedeutung abzuhören, und hellhörig hörte gerade die Frömmigkeit sie ihnen ab.
    Erstaunlich war nur, als wie schwach sich gerade bei den Heiligen Gottes die Engelswacht allezeit erwiesen hatte, soweit wenigstens der »Friede« in Frage kam. Das Buch von den heiligen Vätern war voll von Berichten, daß, wenn sie auch aller fleischlichen Lust getrotzt hätten, sie doch mehr, als glaublich, von der Begierde nach Weibern versucht worden waren. »Mir ist gegeben der Stachel meines Fleisches, der Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlage.« Das war so ein Geständnis, abgelegt den Korinthern, und wenn auch der Briefschreiber vielleicht etwas anderes damit gemeint hatte, die fallende Sucht oder dergleichen, – die Frömmigkeit jedenfalls deutete es nach ihrer Art, – mit Recht wahrscheinlich am Ende, da wohl ihr Instinkt nicht fehlging, wenn er die Anfechtung des Gehirns in dunkle Beziehung zum Dämon des Geschlechtes brachte. Die Versuchung nun freilich, der man widerstand, war keine Sünde, sondern eben nur eine Prüfung der Tugend. Und doch war die Grenze zwischen Versuchung und Sünde schwer zu bestimmen, denn war nicht jene bereits das Toben der Sünde in unserem Blut, und lag nicht im Zustande der Lüsternheit bereits viel Hingabe ans Böse? Hier wieder tat sich die dialektische Einheit von Gut und Böse hervor, denn Heiligkeit war ohne Versuchung gar nicht zu denken, und nach der Fürchterlich

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