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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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{156} keit der Versuchung bemaß sie sich, nach dem Sünden-Potential eines Menschen.
    Von wem aber ging die Versuchung aus? Wer war zu verfluchen um ihretwillen? Man hatte leicht sagen, sie komme vom Teufel. Der war ihre Quelle, die Verwünschung jedoch galt dem Gegenstand. Der Gegenstand, das instrumentum des Versuchers, war das Weib. Sie war damit freilich auch das instrumentum der Heiligkeit, denn diese gab es nicht ohne tobende Sündenlust. Doch wußte man ihr dafür nur bitteren Dank. Vielmehr war es das Merkwürdige und tief Bezeichnende, daß, obgleich doch der Mensch in beiderlei Gestalt ein Geschlechtswesen war, und obgleich die Lokalisierung des Dämonischen in den Lenden eher auf den Mann paßte, als auf das Weib, dennoch der ganze Fluch der Fleischlichkeit und der Geschlechtssklaverei dem Weibe zugewälzt wurde, so daß es zu dem Spruch hatte kommen können: »Ein schönes Weib ist wie ein goldner Reif in der Nase der Sau.« Wievieles dergleichen war nicht, aus tiefem Gefühl, von alters über das Weib gesagt worden! Es galt aber der Begehrlichkeit des Fleisches im allgemeinen, die mit dem Weibe in eins zu setzen war, so daß auch die Fleischlichkeit des Mannes aufs Konto des Weibes kam. Daher das Wort: »Ich fand das Weib bitterer als den Tod, und selbst ein gutes Weib ist unterlegen der Begehrlichkeit des Fleisches.«
    Man hätte fragen können: Der gute Mann etwa nicht? Und der heilige Mann etwa nicht ganz besonders? Ja, aber das war das Werk des Weibes, als welche die Repräsentantin sämtlicher Fleischlichkeit auf Erden war. Das Geschlecht war ihre Domäne, und wie hätte sie also, die Femina hieß, was teils von fides, teils von minus, von
minderem Glauben
kam, nicht mit den unflätigen Geistern, die diesen Raum bevölkerten, auf schlimm vertrautem Fuße stehen, des Umgangs mit ihnen, der Hexerei, nicht ganz besonders verdächtig sein sollen? Ein Beispiel dafür war jenes Eheweib, das es in vertrauensvoll schlummernder {157} Gegenwart ihres Mannes mit einem Incubus getrieben, und das jahrelang. Allerdings gab es nicht nur Incubi, sondern auch Succubi, und tatsächlich hatte ein verworfener Jüngling des klassischen Zeitalters mit einem Idol gelebt, dessen teuflische Eifersucht er am Ende erfahren sollte. Denn nach einigen Jahren hatte er, aus Nützlichkeitsgründen mehr, denn aus wahrer Neigung, mit einem anständigen Weibe die Ehe geschlossen, war aber gehindert gewesen, sie zu erkennen, weil stets das Idol sich dazwischen gelegt hatte. Darum hatte das Weib, in gerechter Verstimmung, ihn wieder verlassen, der sich denn Zeit seines Lebens auf das unduldsame Idol beschränkt gesehen hatte.
    Viel kennzeichnender aber, meinte Schleppfuß, für die psychologische Sachlage war die Beschränkung gewesen, der ein anderer Jüngling jener Epoche unterworfen war; denn ganz ohne eigenes Verschulden, durch weibliche Hexerei hatte sie ihn getroffen, und schlechthin tragisch war das Mittel gewesen, durch das er ihrer wieder ledig geworden war. Zur Erinnerung an die mit Adrian gemeinsam betriebenen Studien will ich die Geschichte, bei der Privatdozent Schleppfuß sehr geistvoll verweilte, in Kürze hier einschalten.
    Zu Merßburg bei Konstanz lebte gegen Ende des 15ten Jahrhunderts ein ehrlicher Bursch, Heinz Klöpfgeißel geheißen und Faßbinder seines Zeichens, von guter Gestalt und Gesundheit. Er stand in inniger Wechselneigung mit einem Mädchen, Bärbel, der einzigen Tochter eines verwitweten Glöckners, und wollte sie ehelichen, doch stieß des Pärchens Wunsch auf väterlichen Widerstand, denn Klöpfgeißel war ein armer Kerl, und der Glöckner forderte erst eine stattliche Lebensstellung von ihm, daß er Meister würde in seinem Gewerbe, bevor er ihm seine Tochter gäbe. Die Neigung der jungen Leute aber war stärker gewesen, als ihre Geduld, und aus dem Pärchen war vor der Zeit schon ein Paar geworden. Denn nächtlich, wenn der Glöckner glöckeln gegangen war, stieg Klöpfgeißel ein bei Bär {158} bel, und ihre Umarmungen ließen das Eine dem Andern als das herrlichste Wesen auf Erden erscheinen.
    So standen die Dinge, als eines Tages der Faßbinder sich mit anderen munteren Gesellen nach Konstanz begab, wo Kirchweih war, und wo sie einen guten Tag hatten, so daß sie am Abend der Haber stach und sie beschlossen, in eine Schlupfbude zu Weibern zu gehen. Nach Klöpfgeißels Sinn war es nicht, er wollte nicht mithalten. Aber die Burschen verhöhnten ihn als einen Zümpferling und setzten ihm zu mit

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