Doktor Faustus
historisch-moralische Verse eines {25} Herrn David von Schweinitz mit einschloß. Von dem Buch ging die Sage, oder vielmehr die bestimmte Nachricht war davon überliefert, es sei das Eigentum jener Prinzeß von Braunschweig-Wolfenbüttel gewesen, welche den Sohn Peters des Großen geheiratet hatte. Danach jedoch habe sie ihren Tod fingiert, so daß ihr Leichenbegängnis stattgefunden habe, während sie nach Martinique entwichen und dort mit einem Franzosen die Ehe eingegangen sei. Wie oft hat Adrian, der für das Komische einen durstigen Sinn hatte, später noch mit mir über diese Geschichte gelacht, die sein Vater, den Kopf vom Buche erhebend, mit sanftem Tiefblick erzählte, worauf er sich, offenbar ungestört durch die ein wenig skandalöse Provenienz des heiligen Druckwerkes, den Verskommentaren des Herrn von Schweinitz oder der »Weisheit Salomonis an die Tyrannen« wieder zuwandte.
Neben der geistlichen Tendenz seiner Lektüre lief jedoch eine andere, die von gewissen Zeiten dahin charakterisiert worden wäre, er habe wollen »die Elementa spekulieren«. Das heißt, er trieb, in bescheidenem Maßstab und mit bescheidenen Mitteln, naturwissenschaftliche, biologische, auch wohl chemisch-physikalische Studien, bei denen mein Vater ihm gelegentlich mit Stoffen aus seinem Laboratorium zur Hand ging. Jene verschollene und nicht vorwurfsfreie Bezeichnung für solche Bestrebungen aber wählte ich, weil ein gewisser mystischer Einschlag darin merklich war, der ehemals wohl als Hang zur Zauberei verdächtigt worden wäre. Übrigens will ich hinzufügen, daß ich dieses Mißtrauen einer religiös-spiritualistischen Epoche gegen die aufkommende Leidenschaft, die Geheimnisse der Natur zu erforschen, immer vollkommen verstanden habe. Die Gottesfurcht mußte ein libertinistisches Sich-einlassen mit dem Verbotenen darin sehen, ungeachtet des Widerspruches, den man darin finden mag, die Schöpfung Gottes, Natur und Leben, als moralisch anrüchiges Gebiet zu {26} betrachten. Die Natur selbst ist zu voll von vexatorisch ins Zauberische spielenden Hervorbringungen, zweideutigen Launen, halbverhüllten und sonderbar ins Ungewisse weisenden Allusionen, daß nicht die züchtig sich beschränkende Frömmigkeit eine gewagte Überschreitung darin hätte sehen sollen, sich mit ihr abzugeben.
Wenn Adrians Vater am Abend seine farbig illustrierten Bücher über exotische Falter und Meergetier aufschlug, so blickten wir, seine Söhne und ich, auch wohl Frau Leverkühn, manches Mal über die gelederte, mit Ohrenklappen versehene Rückenlehne seines Stuhles mit hinein, und er wies uns mit dem Zeigefinger die dort abgebildeten Herrlichkeiten und Exzentrizitäten: diese in allen Farben der Palette, nächtigen und strahlenden, sich dahinschaukelnden, mit dem erlesensten kunstgewerblichen Geschmack gemusterten und ausgeformten Papilios und Morphos der Tropen, – Insekten, die in phantastisch übertriebener Schönheit ein ephemeres Leben fristen, und von denen einige den Eingeborenen als böse Geister gelten, die die Malaria bringen. Die herrlichste Farbe, die sie zur Schau tragen, ein traumschönes Azurblau, sei, so belehrte uns Jonathan, gar keine echte und wirkliche Farbe, sondern werde durch feine Rillen und andere Oberflächengestaltungen der Schüppchen auf ihren Flügeln hervorgerufen, eine Kleinstruktur, die es durch künstlichste Brechung der Lichtstrahlen und Ausschaltung der meisten besorge, daß allein das leuchtendste Blaulicht in unser Auge gelange.
»Sieh an«, höre ich noch Frau Leverkühn sagen, »es ist also Trug?«
»Nennst du das Himmelsblau Trug?« erwiderte ihr Mann, indem er rückwärts zu ihr aufblickte. »Den Farbstoff kannst du mir auch nicht nennen, von dem es kommt.«
Tatsächlich ist mir, indem ich schreibe, als stünde ich noch mit Frau Elsbeth, Georg und Adrian hinter des Vaters Stuhl und {27} folgte seinem Finger durch diese Gesichte. Es waren da Glasflügler abgeschildert, die gar keine Schuppen auf ihren Schwingen führen, so daß diese zart gläsern und nur vom Netz der dunkleren Adern durchzogen erscheinen. Ein solcher Schmetterling, in durchsichtiger Nacktheit den dämmernden Laubschatten liebend, hieß Hetaera esmeralda. Nur einen dunklen Farbfleck in Violett und Rosa hatte Hetaera auf ihren Flügeln, der sie, da man sonst nichts von ihr sieht, im Flug einem windgeführten Blütenblatt gleichen läßt. – Es war da sodann der Blattschmetterling, dessen Flügel, oben in volltönendem Farbendreiklang
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