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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Heerscharen‹ stempelt. Das ist aber eine entschieden dämonisch bedrohte Position …«
    »Nun, und?« fragte Deutschlin. »Dämonische Kräfte stecken neben Ordnungsqualitäten in jeder vitalen Bewegung.«
    »Nennen wir doch die Dinge bei Namen«, verlangte Schappeler; es kann auch sein, daß es Hubmeyer war. – »Das Dä {184} monische, das heißt doch auf deutsch: die Triebe. Und das ist es ja gerade, daß heute sogar schon mit den Trieben Propaganda für allerlei Bindungsangebote gemacht wird, indem man nämlich auch sie noch mit einbezieht und den alten Idealismus mit Triebpsychologie aufputzt, damit der bestechende Eindruck einer größeren Wirklichkeitsdichte entsteht. Deswegen kann aber das Angebot doch noch Schwindel sein …«
    Hier kann ich nur »Und so weiter«, sagen, denn es ist Zeit, daß ich der Wiedergabe dieses Gesprächs – oder eines solchen Gesprächs – ein Ende setze. In Wirklichkeit hatte es keines oder ging doch noch lange, bis tief in die Nacht hinein, weiter, mit »doppelpoliger Haltung« und »geschichtsbewußter Analyse«, mit »überzeitlichen Qualitäten«, »ontischer Naturhaftigkeit«, »logischer Dialektik« und »Real-Dialektik«, gelehrt, bemüht und uferlos, um dann im Sande zu verlaufen, das heißt: im Schlaf, zu dem der Chargierte Baworinski ermahnte, da man morgen – aber es war schon fast morgen – zeitig zur Wanderung aufbrechen wollte. Daß die gütige Natur den Schlaf bereit hielt, um das Gespräch darin aufzunehmen und es in Vergessenheit zu wiegen, war ein dankenswerter Umstand, und Adrian, der lange nichts mehr gesagt hatte, gab dem Ausdruck mit ein paar im Zurechtkuscheln hingesprochenen Worten:
    »Ja, gute Nacht. Ein Glück, daß man's sagen kann. Diskussionen sollte man immer nur vorm Einschlafen halten, mit der Rückendeckung des wartenden Schlafs. Wie peinlich, nach einem geistigen Gespräch noch wachen Sinnes umhergehen zu müssen!«
    »Das ist aber eine Fluchtposition«, murrte noch jemand, und dann ertönten die ersten Schnarchlaute in unserer Scheune, befriedete Kundgebungen der Anheimgabe ans Vegetative, von der ein paar Stunden genügten, um der lieben Jugend die Spannkraft zur Vereinigung von dankbar atmendem und schauendem Naturgenuß mit den obligaten theologisch-phi {185} losophischen Debatten zurückzugeben, die fast niemals abrissen, und in denen man einander opponierte und imponierte, sich wechselseitig belehrte und förderte. Zur Juni-Zeit etwa, wenn aus den Schluchten der bewaldeten Höhen, die das Thüringer Becken durchziehen, die schweren Düfte des Jasmins, des Faulbaums quollen, waren es köstliche Wandertage hier durch das von Industrie fast freie, mild-begünstigte, fruchtbare Land mit seinen freundlichen Haufendörfern aus Fachwerkbauten; und kam man dann aus der Gegend des Ackerbaus in die der vorwiegenden Viehzucht und verfolgte den sagenumwobenen Höhenpfad des mit Fichten und Buchen bestandenen Kammgebirges, den »Rennsteig«, der mit seinen Tiefblicken ins Werrathal sich vom Frankenwald gegen Eisenach, die Hörselstadt, erstreckt, so wurde es immer schöner, bedeutender, romantischer, und weder was Adrian über die Sprödigkeit der Jugend vor der Natur, noch was er über die Wünschbarkeit gesagt hatte, bei geistigen Disputen auf den Schlaf rekurrieren zu können, schien irgendwelche typische Gültigkeit zu haben. Auch für ihn selbst galt es kaum, denn, falls nicht etwa die Migräne ihn schweigsam machte, trug er lebhaft zu den Tagesgesprächen bei, und wenn die Natur ihm auch keine begeisterten Ausrufungen entlockte und er mit einer gewissen sinnenden Zurückhaltung auf sie blickte, so zweifle ich nicht, daß ihre Bilder, Rhythmen, hochhingetragenen Melodien ihm tiefer in die Seele drangen, als den Genossen, und habe bei manchem Vorübergang reiner, gelöster Schönheit, der sich aus seinem geistgespannten Werk hervortut, später an jene gemeinsamen Eindrücke denken müssen.
    Ja, das waren angeregte Stunden, Tage und Wochen. Die Sauerstofflabung durch das Freiluftleben, Eindrücke der Landschaft und der Geschichte begeisterten diese jungen Leute und hoben ihre Gemüter zu Gedanken auf, die das Luxuriöse und frei Experimentierende der Studentenzeit hatten, und für die {186} sie im späteren trockenen Berufsleben, im Zustande des Philisteriums – und ob es auch ein geistliches Philisterium sein würde – gar keine Verwendung mehr haben würden. Oft betrachtete ich sie bei ihren theologisch-philosophischen Debatten und

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