Doktor Faustus
Fälle, wo die persönliche Substanz, sagen wir: an Deutschtum sehr groß war und ganz unwillkürlich sich auch als Opfer objektivierte, wo es aber an Bekenntnis zu völkischer Bindung nicht nur völlig fehlte, sondern auch die heftigste Negation davon statthatte, so daß das tragische Opfer gerade in dem Widerstreit von Sein und Bekenntnis bestand … Soviel für heute Abend über die nationale Bindung. Was aber die soziale betrifft, so hat sie den Haken, daß, wenn im ökonomischen Raum alles bestmöglich reguliert ist, die Frage nach der Sinnerfüllung des Daseins und nach würdiger Lebensführung noch genau so offen bleibt, wie heute. Eines Tages werden wir die universelle ökonomische Verwaltung der Erde haben, den kompletten Sieg des Kollektivismus, – gut, damit wird dann die relative Unsicherheit des Menschen verschwunden sein, die der soziale Katastrophencharakter des kapitalistischen Systems noch bestehen läßt, das heißt: verschwunden sein wird der letzte Erinnerungsrest an die Gefährdung des menschlichen Lebens und damit die geistige Problematik überhaupt. Man fragt sich, wozu dann noch leben …«
{182} »Möchtest du das kapitalistische System erhalten, Deutschlin«, fragte Arzt, »weil es die Erinnerung an die Gefährdung des menschlichen Lebens wach erhält?«
»Nein, das möchte ich nicht, lieber Arzt«, antwortete Deutschlin ärgerlich. »Man wird ja wohl noch auf die tragischen Antinomien hinweisen dürfen, von denen das Leben voll ist.«
»Auf die braucht man gar nicht hingewiesen zu werden«, seufzte Dungersheim. »Es ist ja eine wahre Not damit, und als religiöser Mensch muß man sich fragen, ob die Welt wirklich das alleinige Werk eines gütigen Gottes ist oder nicht vielmehr eine Gemeinschaftsarbeit, ich sage nicht, mit wem.«
»Was ich wissen möchte«, bemerkte von Teutleben, »das ist, ob die Jugend anderer Völker auch so auf dem Stroh liegt und sich mit den Problemen und Antinomien plagt.«
»Kaum«, antwortete Deutschlin wegwerfend. »Die haben es alle geistig viel einfacher und bequemer.«
»Die russische revolutionäre Jugend«, meinte Arzt, »sollte man ausnehmen. Da gibt es, wenn ich nicht irre, eine unermüdliche diskursive Angeregtheit und verdammt viel dialektische Spannung.«
»Die Russen«, sagte Deutschlin sentenziös, »haben Tiefe, aber keine Form. Die im Westen Form, aber keine Tiefe. Beides zusammen haben nur wir Deutsche.«
»Na, wenn das keine völkische Bindung ist!« lachte Hubmeyer.
»Es ist bloß die Bindung an eine Idee«, versicherte Deutschlin. »Es ist die Forderung, von der ich spreche. Unsere Verpflichtung ist exceptionell, durchaus nicht das Maß, in dem wir sie bereits erfüllen. Sollen und Sein klaffen bei uns weiter auseinander, als bei anderen, weil eben das Sollen sehr hoch gesetzt ist.«
»Man sollte bei alldem doch wohl vom Nationellen absehen«, warnte Dungersheim, »und die Problematik mit der Exi {183} stenz des modernen Menschen überhaupt verbunden sehen. Es ist doch so, daß, seit das unmittelbare Seinsvertrauen abhanden gekommen ist, das in früheren Zeiten das Ergebnis des Hineingestelltseins in vorgefundene Ganzheitsordnungen war, ich meine sakral imprägnierte Ordnungen, die eine bestimmte Intentionalität auf die geoffenbarte Wahrheit hatten … daß seit ihrem Zerfall und dem Entstehen der modernen Gesellschaft unser Verhältnis zu Menschen und Dingen unendlich reflektiert und kompliziert geworden ist und es nichts als Problematik und Ungewißheit mehr gibt, so daß der Entwurf auf die Wahrheit in Resignation und Verzweiflung zu enden droht. Die Ausschau aus der Zersetzung nach Ansätzen zu neuen Ordnungskräften ist allgemein, wenn man auch zugeben kann, daß sie bei uns Deutschen besonders ernst und dringlich ist, und daß die anderen nicht so an dem geschichtlichen Schicksal leiden, entweder weil sie stärker, oder weil sie stumpfer sind …«
»Stumpfer«, entschied von Teutleben.
»So sagst du, Teutleben. Aber wenn wir nun so die Schärfe und Bewußtheit der historisch-psychologischen Problematik uns zur nationalen Ehre rechnen und das Trachten nach neuen Ganzheitsordnungen mit dem Deutschtum identifizieren, so sind wir schon im Begriff, uns einem Mythos von zweifelhafter Echtheit und unzweifelhafter Hoffart zu verschreiben, nämlich dem völkischen mit seiner Strukturromantik des Kriegertypus, die nichts weiter ist als christlich verbrämtes, naturales Heidentum und Christus zum ›Herrn der himmlischen
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