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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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seines Stolzes, der ihn hindert, epigonenhafte Musik in die Welt zu setzen.«
    Ich konnte alldem nur beipflichten. Auf die beschützende Sorge der Mutter aber verstand ich mich auch aus dem Grunde und fühlte mich oft bis zur Feindseligkeit gegen den Werber mit ihr solidarisch. Nie vergesse ich ein Bild, eine Szene im Wohnzimmer des Buchelhauses, als wir dort zufällig zu viert, Mutter und Sohn, Kretzschmar und ich, beisammen saßen und Elsbeth im Gespräch mit dem blubbernd und pustend inhibierten Musiker, – einer bloßen Unterhaltung, bei der durchaus nicht von Adrian die Rede war, – den Kopf des bei ihr sitzenden Sohnes auf eigentümliche Weise an sich zog. Sie schlang gleichsam den Arm um ihn, aber nicht um seine Schultern, sondern um sein Haupt, die Hand auf seiner Stirn, und so, den Blick ihrer schwarzen Augen auf Kretzschmar gerichtet und mit ihrer wohllautenden Stimme zu ihm sprechend, lehnte sie Adrians Kopf an ihre Brust. –
    {189} Übrigens hielten nicht nur diese persönlichen Wiederbegegnungen das Verhältnis zwischen Meister und Schüler aufrecht, sondern auch ein ziemlich häufiger, ich glaube: etwa vierzehntägiger Briefwechsel zwischen Halle und Kaisersaschern tat das, über den Adrian mir von Zeit zu Zeit berichtete, und von dem ich auch einzelne Stücke zu sehen bekommen habe. Daß Kretzschmar wegen der Übernahme einer Klavier- und Orgelklasse mit dem Hase'schen Privat-Konservatorium in Leipzig verhandelte, welches damals neben der berühmten staatlichen Musikschule dieser Stadt sich eines wachsenden Ansehens zu erfreuen begann und dieses in den nächsten zehn Jahren, bis zu dem Tode des ausgezeichneten Pädagogen, Clemens Hase, noch immer mehrte (jetzt spielt es längst keine Rolle mehr, wenn es noch existiert) – erfuhr ich schon Michaelis 1904. Zu Beginn des nächsten Jahres verließ Wendell dann Kaisersaschern, um seine neue Stellung anzutreten, und von da an ging denn also jener Briefwechsel zwischen Halle und Leipzig hin und her: Kretzschmars einseitig beschriebene, mit großen, steifen, gekratzten und spritzenden Buchstaben bedeckte Blätter und Adrians auf rauhem, gelblichem Papier in seiner ebenmäßigen und leicht altertümlich gestalteten, etwas schnörkelhaften Handschrift ausgeführten Botschaften, denen man es ansah, daß sie mit der Rundschriftfeder hergestellt waren. In den Entwurf zu einer von ihnen, sehr gedrängt und chiffernmäßig geschrieben, voll winziger Interpolationen und Korrekturen, – aber ich war früh mit seiner Schreibtechnik genau vertraut und konnte stets alles von seiner Hand ohne Schwierigkeit lesen – in einen Briefentwurf von ihm also gewährte er mir Einblick und zeigte mir auch Kretzschmars Antwort. Er tat es offenbar, damit ich von dem Schritt, den er vorhatte, nicht allzu überrascht sein möchte, wenn er sich tatsächlich zu ihm entschlösse. Denn noch war er nicht entschlossen, zögerte sogar stark, in zweifelnder Selbstprüfung, {190} wie aus seinem Schreiben hervorging, und wünschte offenbar, auch von mir beraten zu sein, – Gott wußte, ob lieber im warnenden oder im anspornenden Sinn.
    Von Überraschung auf meiner Seite konnte nicht die Rede sein und hätte nicht die Rede sein können, auch wenn ich eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt worden wäre. Ich wußte, was sich vorbereitete – ob es sich vollenden würde, war eine andere Frage; aber auch das war mir klar, daß seit Kretzschmars Übersiedelung nach Leipzig seine Gewinnchancen bedeutend gestiegen waren.
    In seinem Brief, der eine superiore Fähigkeit des Schreibers bekundete, kritisch auf sich selbst hinabzublicken und mich als Bekenntnis, in seiner spöttischen Zerknirschtheit, außerordentlich ergriff, setzte Adrian dem ehemaligen Mentor, der es wieder, und auf entschiedenere Weise wieder zu werden wünschte, die Skrupel auseinander, die ihn von dem Entschluß zurückhielten, den Beruf zu wechseln und sich ganz der Musik in die Arme zu werfen. Halb und halb gab er ihm zu, daß die Theologie als empirisches Studium ihn enttäuscht habe, – wofür die Gründe natürlich nicht in dieser ehrwürdigen Wissenschaft, auch nicht bei seinen akademischen Lehrern, sondern in ihm selbst zu suchen seien. Das erweise sich schon darin, daß er durchaus nicht zu sagen wisse, welche andere, bessere, richtigere Wahl er denn hätte treffen sollen. Zuweilen, wenn er über Möglichkeiten des Umsattelns mit sich rätig geworden sei, habe er in diesen Jahren daran gedacht, zur

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