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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Daseinsursprünglichkeit wie die einzelnen Menschen, und ein Ökonom könne vom Staat eben darum nichts verstehen, weil er von seiner transzendentalen Grundlegung nichts verstehe.
    Von Teutleben sagte darauf:
    »Ich bin gewiß nicht ohne Sympathie mit der sozial-religiösen Bindung, die Arzt befürwortet; besser als gar keine ist sie allemal, und Matthäus hat nur zu recht, wenn er sagt, daß alles darauf ankommt, die rechte Bindung zu finden. Um aber recht zu sein, um zugleich religiös und politisch zu sein, muß sie volkhaft sein, und was ich mich frage, ist, ob aus der Wirtschaftsgesellschaft heraus ein neues Volkstum entstehen kann. Seht euch im Ruhrgebiet um: Da habt ihr Sammelzentren von Menschen, aber doch keine neuen Volkstumszellen. Fahrt mal im Personenzug von Leuna nach Halle! Da seht ihr Arbeiter zusammen sitzen, die über Tariffragen ganz gut zu sprechen wissen, aber daß sie aus ihrer gemeinsamen Betätigung irgendwelche Volkstumskräfte gezogen hätten, das geht aus ihren Gesprächen nicht hervor. In der Wirtschaft herrscht mehr und mehr die nackte Endlichkeit …«
    »Das Volkstum ist aber auch endlich«, erinnerte ein anderer, es war entweder Hubmeyer oder Schappeler, ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. »Das dürfen wir als Theologen nicht zulassen, daß das Volk etwas Ewiges sei. Begeisterungsfähigkeit ist etwas sehr Gutes und Gläubigkeitsbedürfnis etwas der Jugend sehr Natürliches, aber eine Versuchung ist es auch, und man muß sich die Substanz der neuen Bindungen, die heute, wo der Liberalismus abstirbt, überall angeboten werden, sehr {180} genau ansehen, ob sie auch Echtheit hat, und ob denn das die Bindung schaffende Objekt auch etwas Wirkliches ist oder vielleicht nur das Produkt einer, sagen wir mal: Strukturromantik, die sich ideologische Objekte auf nominalistischem, um nicht zu sagen fiktionalistischem Wege schafft. Meiner Meinung nach, oder meiner Befürchtung nach sind das vergötzte Volkstum und der utopisch gesehene Staat solche nominalistischen Bindungen, und das Bekenntnis zu ihnen, also sagen wir: das Bekenntnis zu Deutschland, hat etwas Unverbindliches, weil es gar nichts mit der personalen Substanz und Qualitätshaltigkeit zu tun hat. Nach der wird überhaupt nicht gefragt, und wenn einer ›Deutschland!‹ sagt und das für seine Bindung erklärt, so braucht er gar nicht nachzuweisen und wird von niemandem gefragt, auch von sich selbst nicht, wieviel Deutschtum er eigentlich im personalen und das heißt: qualitativen Sinn verwirklicht und wieweit er imstande ist, der Behauptung einer deutschen Lebensform in der Welt zu dienen. Das ist es, was ich Nominalismus, oder besser: Namensfetischismus nenne, und was nach meiner Meinung ideologischer Götzendienst ist.«
    »Gut, Hubmeyer«, sagte Deutschlin, »das ist alles ganz richtig, was du sagst, und jedenfalls gebe ich dir zu, daß du uns mit deiner Kritik näher an das Problem herangeführt hast. Ich habe Matthäus Arzt widersprochen, weil mir die Vorherrschaft des Nützlichkeitsprinzips im ökonomischen Raum nicht paßt; aber darin stimme ich ganz mit ihm überein, daß die theonome Bindung an sich, also das Religiöse im allgemeinen, etwas Formalistisches und Ungegenständliches hat, daß es einer irdisch-empirischen Ausfüllung oder Anwendung oder Bewährung bedarf, einer Praktizierung im Gehorsam gegen Gott. Und da hat nun Arzt den Sozialismus erwählt und Carl Teutleben das Völkische. Das sind aber die beiden Bindungen, zwischen denen wir heute die Wahl haben. Ich leugne, daß es ein Überangebot an Ideologien gibt, seit die Freiheitsphrase keinen Hund {181} mehr vom Ofen lockt. Es gibt tatsächlich nur diese beiden Möglichkeiten religiösen Gehorsams und religiöser Verwirklichung: die soziale und die nationale. Das Unglück will aber, daß sie beide ihre Bedenken und Gefahren haben und zwar sehr ernste. Über eine gewisse, so häufig vorkommende nominalistische Hohlheit und personale Substanzlosigkeit des völkischen Bekenntnisses hat Hubmeyer sich ganz zutreffend geäußert, und verallgemeinernd sollte man hinzufügen, daß es gar nichts heißen will, sich auf die Seite lebenserhöhender Objektivierungen zu schlagen, wenn das für die persönliche Lebensgestaltung keine Bedeutung hat, sondern nur für feierliche Anlässe gilt, wozu ich sogar den rauschhaften Opfertod noch rechne. Zum echten Opfer gehören zwei Wertbestände und Qualitätshaltigkeiten: die der Sache und die des Opfers … Wir haben aber

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