Doktor Faustus
dem, was mir doch so notwendig (wenn auch zwecklos) erschien, und was ich wieder nur mit denselben Worten, wie weiter oben, bezeichnen kann: nicht mehr sollte ich wissen, was er tat und erfuhr, nicht mehr mich neben ihm halten können, um auf ihn acht-, ein unverwandtes Auge auf ihn zu haben, sondern mußte ihm von der Seite gehen gerade in dem Augenblick, wo mir die Beobachtung seines Lebens, obgleich sie gewiß an diesem nichts ändern konnte, am allerwünschenswertesten schien, nämlich wo er die gelehrte Laufbahn verließ, »die H. Schrift unter die Bank legte«, um mich seines Ausdrucks zu bedienen, und sich ganz der Musik in die Arme warf.
Das war ein bedeutender, für mein Gefühl eigentümlich verhängnishaft geprägter Entschluß, der, gewissermaßen unter Annullierung der Zwischenzeit, an weit zurückliegende Augenblicke unseres gemeinsamen Lebens wieder anknüpfte, deren Andenken ich im Herzen trug: an die Stunde, wo ich den Knaben am Harmonium seines Onkels experimentierend betroffen hatte, und, noch weiter zurück, an unser Kanon-Singen mit der Stall-Hanne unter der Linde. Mir erhob er freudig das Herz, dieser Entschluß, – und preßte es zugleich ängstlich zusammen. Ich kann das Gefühl nur dem Leibziehen vergleichen, das man als Kind auf der sehr hoch ausschwingenden {203} Schaukel erprobt, und in dem Jauchzen und Beklemmung des Fluges sich mischen. Die Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit, der richtigstellende Charakter des Schrittes, und daß die Theologie nur ein Ausweichen vor ihm, eine Dissimulation gewesen war, das alles war mir klar, und stolz war ich darauf, daß mein Freund nicht länger anstand, sich zu seiner Wahrheit zu bekennen. Überredung freilich war nötig gewesen, ihn zu dem Bekenntnis zu bringen, und, so außerordentliche Resultate ich mir davon versprach, – ich fand es beruhigend in aller freudigen Beunruhigung, mir sagen zu können, daß ich an der Überredung keinen Teil gehabt, – höchstens durch ein gewisses fatalistisches Verhalten, durch Worte wie »Ich denke, du weißt es selbst«, ihr allenfalls Sukkurs geleistet hatte. –
Hier lasse ich einen Brief folgen, den ich zwei Monate nach meinem Dienstantritt in Naumburg von ihm erhielt, und den ich mit Empfindungen las, wie sie wohl eine Mutter bei solchen Mitteilungen eines Kindes bewegen mögen, – nur daß man freilich einer Mutter dergleichen schicklich vorenthält. Ich hatte ihm etwa drei Wochen zuvor, noch unkundig seiner Adresse, über das Hase'sche Konservatorium zu Händen des Herrn Wendell Kretzschmar geschrieben, ihm von meinen neuen und rauhen Zuständen berichtet und ihn gebeten, doch auch mich, sei es noch so kurz, über sein Sichbehagen und -befinden in der großen Stadt und über die Organisation seiner Studien gefälligst ein wenig ins Bild zu setzen. Seiner Antwort schicke ich nur noch voraus, daß ihre altertümliche Ausdrucksweise natürlich parodisch gemeint und Anspielung auf skurrile Hallenser Erfahrungen, das sprachliche Gebaren Ehrenfried Kumpfs ist, – zugleich aber auch Persönlichkeitsausdruck und Selbststilisierung, Kundgebung eigener innerer Form und Neigung, die auf eine höchst kennzeichnende Weise das Parodische vorwendet, sich dahinter verbirgt und erfüllt.
Er schrieb:
{204} »Leipzig, Freitags nach Purificationis 1905
In der Petersstraße, das 27. Haus
Ehrbar, hochgelahrter, lieber, günstiger Herr Magister
und Ballisticus!
Wir danken uns gar freundlich für euer Sorgen und Schreiben, und daß ihr mir von euren jetzigen schmucken, dummen und harten Bewandtnissen, eurem Springen, Striegeln, Putzen und Knallen anschauliche und hochkomische Zeitung thatet. Hat uns alles innig gelächert, insonderheit der Unteroffizier, der, wie er euch auch hobelt und rülpt, so große Bewunderung für euere hohe Erziehung und Bildung hat, und dem ihr in der Cantine alle Versmaße nach Füßen und Moren habt aufzeichnen müssen, weil ihn diese Kenntnis der Gipfel geistiger Veredelung dünkt. Will dir dafür, wenn ich auslange, mit einer recht schimpflichen Facetie und Büffelposse erwidern, die mir hie zugestoßen, daß du auch was zu wundern und lachen habest. Sage dir nur erst mein freundlich Hertz und guten Willen und verhoffe, daß du solche Ruthe fast fröhlich und gerne leidest, wird dir in seiner Zeit wohl davon geholfen werden, daß du am Ende mit Knöpfen und Tressen als ein Reserve-Wachtmeister daraus hervorgehest.
Hie nun heißt es: ›Gott vertrauen, landt und leut beschauen,
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