Doktor Faustus
bei Himmel und Hölle schwören kann, daß ich mir keinen Deut darauf einbilde; und sie, nebst der damit verbundenen Ermüdbarkeit und Neigung zum Ekel (begleitet von Hauptweh) ist der Grund meiner Scheu und Sorge, sie wird, sie sollte mich zur Abstinenz bestimmen. Seht, guter Meister, so jung ich bin, hab ich von der Kunst ein Hinlängliches los, um zu wissen – und müßte nicht euer Schüler sein, es nicht zu wissen –, daß sie über das Schema, die Übereinkunft, die Überlieferung, darüber, was Einer vom Andern lernt, über den Trick, über das ›Wie es gemacht wird‹ weit hinausgeht, aber unleugbar ist von alldem doch immer viel in ihr einschlägig, und ich sehe es kommen (denn das Antizipieren liegt leider oder glücklicherweise auch in meiner Natur), daß ich mich vor der Abgeschmacktheit, die das tragende Gerüst, die ermöglichende Festigkeitssubstanz auch des genialen Kunstwerks ist, vor dem, was Gemeingut, Kultur daran ist, vor den Gepflogenheiten in der Erzielung des Schönen – daß ich mich davor genieren, davor erröten, daran ermatten, Hauptweh daran kriegen werde, und das in aller Bälde.
Wie albern und anspruchsvoll wäre es, zu fragen: ›Verstehen Sie das?‹ Denn wie sollten Sie nicht! So geht es zu, wenn es {196} schön ist: Die Celli intonieren allein, ein schwermütig sinnendes Thema, das nach dem Unsinn der Welt, dem Wozu all des Hetzens und Treibens und Jagens und einander Plagens bieder-philosophisch und höchst ausdrucksvoll fragt. Die Celli verbreiten sich eine Weile weise kopfschüttelnd und bedauernd über dieses Rätsel, und an einem bestimmten Punkt ihrer Rede, einem wohl erwogenen, setzt ausholend, mit einem tiefen Eratmen, das die Schultern emporzieht und sinken läßt, der Bläserchor ein zu einer Choral-Hymne, ergreifend feierlich, prächtig harmonisiert und vorgetragen mit aller gestopften Würde und mild gebändigten Kraft des Blechs. So dringt die sonore Melodie bis in die Nähe eines Höhepunkts vor, den sie aber, dem Gesetz der Ökonomie gemäß, fürs erste noch vermeidet; sie weicht aus vor ihm, spart ihn aus, spart ihn auf, sinkt ab, bleibt sehr schön auch so, tritt aber zurück und macht einem anderen Gegenstande Platz, einem liedhaft-simplen, scherzhaft-gravitätisch-volkstümlichen, scheinbar derb von Natur, der's aber hinter den Ohren hat und sich, bei einiger Ausgepichtheit in den Künsten der orchestralen Analyse und Umfärbung, als erstaunlich deutungs- und sublimierungsfähig erweist. Mit dem Liedchen wird nun eine Weile klug und lieblich gewirtschaftet, es wird zerlegt, im einzelnen betrachtet und abgewandelt, eine reizende Figur daraus wird aus mittleren Klanglagen in die zauberischsten Höhen der Geigen- und Flötensphäre hinaufgeführt, wiegt sich dort oben ein wenig noch, und wie es am schmeichelhaftesten darum steht, nun, da nimmt wieder das milde Blech, die Choralhymne von vorhin, das Wort an sich, tritt in den Vordergrund, fängt nicht gerade, ausholend wie das erste Mal, von vorne an, sondern tut, als sei ihre Melodie schon eine Weile wieder dabei gewesen und setzt sich weihesam fort gegen jenen Höhepunkt hin, dessen sie sich das erste Mal weislich enthielt, damit die ›Ah!‹-Wirkung, die Gefühlsschwellung desto größer sei, jetzt, {197} wo sie in rückhaltlosem, von harmonischen Durchgangstönen der Baßtuba wuchtig gestütztem Aufsteigen ihn glorreich beschreitet, um sich dann, gleichsam mit würdiger Genugtuung auf das Vollbrachte zurückblickend, ehrsam zu Ende zu singen.
Lieber Freund, warum muß ich lachen? Kann man mit mehr Genie das Hergebrachte benutzen, die Kniffe weihen? Kann man mit gewiegterem Gefühl das Schöne erzielen? Und ich Verworfener muß lachen, namentlich bei den grunzenden Stütztönen des Bombardons – Wum, wum, wum – Pang! – ich habe vielleicht zugleich Tränen in den Augen, aber der Lachreiz ist übermächtig, – ich habe verdammter Weise von jeher bei den geheimnisvoll-eindrucksvollsten Erscheinungen lachen müssen und bin vor diesem übertriebenen Sinn für das Komische in die Theologie geflohen, in der Hoffnung, daß sie dem Kitzel Ruhe gebieten werde, – um dann eine Menge entsetzlicher Komik in ihr zu finden. Warum müssen fast alle Dinge mir als ihre eigene Parodie erscheinen? Warum muß es mir vorkommen, als ob fast alle, nein, alle Mittel und Konvenienzen der Kunst
heute nur noch zur Parodie taugten?
– Das sind wahrhaftig rhetorische Fragen, – es fehlte gerade, daß ich auch noch
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